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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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größer zu sein als sie, um seine Kühnheit wachsen zu lassen und damit seine Angst vor Zurückweisung zu überwinden. Nun aber hatte er eine gleich große Frau vor sich stehen, selbstständig, ebenbürtig. Und Geesche konnte beobachten, wie der Mut in seinen Augen erlosch. Er tat ihr leid. Aber sie wusste, dass sein Selbstvertrauen nicht zurückkommen würde, wenn sie sich wieder auf die Bank setzte.
    Dr. Nissen holte sich einen Zipfel seiner Stärke zurück, indem er einen Satz formulierte, wie ihn auf Sylt niemand aussprechen würde: »Ich möchte noch mehr mit Ihnen teilen, Teuerste«, sagt er, und Geesche merkte, dass er sich zwingen musste, den Blick nicht aus ihren Augen zu nehmen. »Mein ganzes Leben! Ich lege Ihnen mein Herz zu Füßen.«
    »Sie meinen …?«
    »Ja, das meine ich! Wenn wir heiraten, könnten wir sehr glücklich werden.«
    Bevor er nach ihr greifen konnte, machte Geesche einen Schritt zurück. »Heiraten?« Einen weiteren Schritt floh sie vor ihm. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Wenn sie Dr. Nissen heiratete, konnte der Name von Zederlitz seine Wucht verlieren. Er würde an einem Namen abprallen, der ihr ein Schutzschild sein konnte.
    »Heiraten?«, wiederholte sie und war nun an der Tür, die ins Haus führte, während Dr. Nissen noch immer neben der Bank stand und sie so hilflos ansah, als wüsste er bereits, welche Antwort er zu erwarten hatte.
    Nein, vor der gräflichen Familie würde der Name Dr. Nissens sie nicht schützen, das begriff Geesche schnell. Wohl aber … vor Hanna Boyken! Wenn Dr. Nissen ihr Ehemann war, würde Hanna es nicht mehr wagen, in ihr Haus und in ihr Leben einzudringen, im Pesel herumzuschnüffeln und ihre Marzipanherzen zu stehlen.
    »Ist es wegen Marinus Rodenberg?«, fragte Dr. Nissen nun.
    Und Geesche wusste wieder, dass sie Hanna nie aus ihrem Leben ausschließen durfte. Niemals! Hanna war der Preis, den sie zu zahlen hatte.
    »Ja, es ist wegen Marinus Rodenberg«, antwortete sie.
     
    Arndt von Zederlitz war es nicht gewöhnt, dass jemand vor ihm davonlief. Erst recht war er es nicht gewöhnt, dass er eine Forderung wiederholen musste, bevor man ihr nachkam. Owena Radke jedoch blieb tatsächlich erst stehen, als er zum zweiten Mal rief: »Warten Sie!«
    Nun drehte sie sich zu ihm um, ihr Gesicht war tränennass. »Es war nicht meine Schuld«, stieß sie hervor.
    Graf Arndt nickte, ging an ihr vorbei und stieg vor ihr den Strandübergang hinauf. Als er am höchsten Punkt angekommenwar, machte er noch zwei, drei Schritte, die ihn aus dem Blickfeld all derer herausrückten, die zu ihm gehörten. Nun drehte er sich um, in der festen Erwartung, dass Owena Radke ihm gefolgt war.
    Tatsächlich stand sie vor ihm, verschwitzt, mit hochrotem Kopf, wischte sich erneut über die Augen und sah ihn dann abwartend an. Fragend, aber ohne jede Hoffnung.
    »Ich habe gesehen, was passiert ist«, begann Arndt von Zederlitz, und prompt stieg nun doch so etwas wie Hoffnung in Owenas Augen. Aber dann wurde seine Stimme hart und unerbittlich. »Man spannt keinen Sonnenschirm über dem Kopf meiner Frau aus, ohne ihn vorher zu kontrollieren.«
    Die Tränen schossen erneut in Owena Radkes Augen. Sie wollte etwas antworten, aber Graf Arndt schnitt ihre Entgegnung mit einer energischen Handbewegung ab.
    »Bis jetzt war ich mit Ihrer Arbeit zufrieden«, sagte er, »und ein Fehler kann schließlich jedem einmal passieren.«
    Owenas Tränen versiegten auf der Stelle, aber nicht, weil sie sich getröstet fühlte, sondern weil sie sich die Worte des Grafen nicht erklären konnte und ihre Verwirrung sie in diesem Augenblick mehr aufwühlte als ihre Verzweiflung.
    »Sie haben gesagt, Ihr Mann möchte einen eigenen Bäckerladen aufmachen«, fuhr Graf Arndt fort. »Ich werde ihm dabei helfen. Ein kleiner Ausgleich für diese … diese unangenehme Geschichte.« Er sah Owena nicht an, sondern drehte sich bereits um, während er ergänzte: »Schicken Sie ihn morgen zu mir. Er bekommt ein zinsloses Darlehen. Das braucht er nur zurückzuzahlen, wenn der Laden Gewinn abwirft.« Nun blieb er doch noch einmal stehen und warf Owena Radke einen Blick zu, als wollte er die Wirkung seiner Worte kontrollieren. »Dafür erwarte ich, dass über diese Sache nicht gesprochen wird. Klar?«
    Owena Radke war unfähig zu antworten, aber sie brachte immerhin ein Nicken zustande.
    »Wenn ich mich nicht täusche, sind Rosemarie und Eveline Ihre Nichten?«
    Wieder nickte Owena, und diesmal konnte sie antworten:

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