Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
bestimmten Zeitpunkt nicht am richtigen Ort gewesen, auf jeden Fall fuhr er nicht mehr in der Spitzengruppe mit.
»Man hat mir gerade meinen Mitarbeiterstab zusammengestrichen«, verkündete Tristan jetzt, und er sagte es so, als hätte er eben erfahren, dass er an einer unheilbaren Krankheit litt.
In Europa fuhr die Bank einen Sparkurs, während sie ihre Präsenz in Asien ausbaute – dort, wo in letzter Zeit ganz außergewöhnlich reiche Leute aufgetaucht waren, die andere für fast nichts arbeiten lassen konnten und sehr niedrige Steuern zahlten. Diese Reichen mussten ihr Geld gewinnbringend anlegen, und so brauchte die Bank in Asien recht viele Leute wie Tristan. Aber er selbst hatte nicht den richtigen Lebenslauf, um dorthin geschickt zu werden; er hatte das Pech gehabt, immer nur in der westlichen Welt zu arbeiten – dort, wo der unersättliche Appetit der Reichen allmählich durch Steuern gezügelt worden war und wo die Armen ein bisschen besser bezahlt wurden als anderswo.
Diese geopolitische Analyse hatte Tristan aber schon selbst vorgenommen.
»Andere behalten ihren Mitarbeiterstab. Schon wieder trifft es ausgerechnet mich! Mein Chef kann mich einfach nicht ausstehen!«
Es war eindeutig – Tristan hatte eine Stufe auf der Karrieretreppe verfehlt. Auf den Wirtschaftsseiten eines Magazins hatte Hector eines Tages ein Foto von Tristans Chef gesehen. Mit dem hatte die Natur es wirklich nicht gerade gut gemeint, und Hector sagte sich, dass Tristans vorteilhaftes Äußeres hier wohl eher ein Nachteil war. Und dass er schon einen Fehler gemacht hatte, als er sich diesen Chef ausgesucht hatte.
»Ich habe die Nase voll von diesem Laden«, jammerte Tristan. »Das ist doch alles nicht mehr gerecht!«
Hector fiel auf, dass Tristan fast dieselben Worte wie Roger gewählt hatte. Und dann stand ihm Roger wieder ganz deutlich vor Augen, und plötzlich hatte er es satt, sich Tristans Gegreine eines verwöhnten Kindes anzuhören; er hatte genug von Tristan mit seinen Boni, seinen Reisen, seinen hübschen Freundinnen (die sich aber allzu schnell in ihn verliebten und die er schon nach ein paar Wochen nicht mehr interessant genug fand); er hatte genug von Tristan, der sich Rogers Leben ohne Arbeit, ohne Freundin und in der schäbigen Einzimmerwohnung, die man ihm nun auch noch nehmen wollte, gar nicht vorstellen konnte!
Vielleicht hätten Sie genauso reagiert, aber Hector war im Dienst. Seine genervte Reaktion dauerte nur wenige Sekunden, und Tristan hatte es nicht einmal gemerkt – ebenso wenig, wie er rechtzeitig gemerkt hatte, dass schon sein Anblick seinem Chef gegen den Strich ging. Schnell beruhigte sich Hector wieder und konzentrierte sich erneut darauf, wie er das Gespräch führen musste, um Tristan zu helfen.
Denn Hector wusste natürlich genau, dass Glück und Unglück zunächst einmal relative Begriffe waren, und Tristan konnte ebenso leiden wie Roger; auch reiche Leute nehmen sich das Leben, vor allem solche, die wie Tristan ohnehin schon Depressionen haben.
Außerdem war Tristan auch gar nicht verantwortlich für seine Sicht auf die Welt, das Leben oder das Glück; sie war vielmehr durch seine Gene und seine Erziehung geprägt worden, und davon hatte er sich weder das eine noch das andere aussuchen können. Wenn er Hector nervte, tat er das gewiss nicht mit Absicht.
Und schließlich war Tristan sein Patient, und Hector hatte ihm gegenüber und auch sich selbst gegenüber eine Verpflichtung übernommen: Er wollte ihm nach Kräften helfen. Jeder Arzt muss jeden Kranken, der sich bei ihm einfindet, gleich gut behandeln, egal, ob er ihn sympathisch findet oder nicht. (Manchmal freilich dachte Hector neidvoll an gewisse Fachärzte wie Zahnmediziner, Radiologen oder Anästhesisten, die ihre Zuhörzeit auf ein Minimum beschränken konnten.)
Doch vor allem wusste Hector eines: Wenn ein Patient uns nervt, dann kann das auch an unserer eigenen Geschichte liegen. Vielleicht beneidete er Tristan ein bisschen um seine Fernreisen und auch um die lange Reihe seiner Freundinnen, während er selbst in seiner Praxis festsaß und ein verheirateter Mann war, wenn auch ein glücklich verheirateter? Verspürte er in sich selbst denn keine Lust darauf, in alle möglichen Richtungen auf Abenteuer auszuschwärmen – und vielleicht gerade deshalb, weil er merkte, dass ihm nicht mehr endlos viel Zeit blieb?
Aber dann konzentrierte sich Hector von Neuem auf Tristan.
»Könnten Sie mir eine Liste von allem machen, was
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