Heerführer der Finsternis
hatten sich Nottr und die Gefährten mit den Maschinenkriegern und Maschinentieren, wie die Chimerer sie nannten, ein wenig vertraut gemacht. Sie wußten von den Zahnrädern, den Ketten und Seilen und Rollen im Innern, und wie die Kraft auf sie wirken mußte, damit sich die Kolosse bewegten.
Aber nur Thonensen und Dilvoog hatten genug Erfahrung mit der Finsternis, um die dunklen Kräfte zu lenken.
Auch von den Chimerern waren es nur ein Dutzend, die es vermochten. Sie aber vermochten Unglaubliches. Sie lenkten nicht nur eines, sondern jeder ein Dutzend dieser Maschinen, und waren dabei völlig entspannt, aber keineswegs der Wirklichkeit entrückt.
Der Abbau des Lagers ging mühelos vor sich. Die Maschinenkrieger hatten das Haus in wenigen Augenblicken auseinandergenommen und auf dem Rücken zweier der Maschinenmammute geladen, wo die schweren Platten haften blieben, ohne daß sie festgebunden werden mußten.
Nicht alles geschah mit Hilfe der Magie, bekannten die Chimerer. Sie verstanden auch manche der natürlichen Kräfte der Lichtwelt zu nutzen.
Die Menschen nahmen auf großen metallenen Schlitten Platz, die von den Maschinenpferden gezogen wurden.
Überraschenderweise schlossen sich die sechs Mitglieder des Gelehrtenrates der Asgnorjen der Reise an.
Viele Tage ging es nordwärts, bis sie Eislandens Küste erreichten, an der das Eis bereits schmolz. Wieder vergingen Tage, bis sie einen Übergang zum ewigen Eis des Nordens fanden.
Die Tage wurden länger und wärmer. Auch die Zeit der Dämmerung wuchs, bis es kaum noch eine richtige Nacht gab. Und bald waren sie tief im endlosen Tag des Nordsommers, wo die wenig wärmende Sonne niemals ganz unterging.
Die Chimerer und Asgnorjer waren guter Stimmung. Nottr und die Gefährten ebenfalls. Die Rastlager, die sie in unregelmäßigen Abständen aufschlugen, waren im Grunde eine Kette von Festen, bei denen es gutes Essen, viel zu berichten, viel zu erfahren, und reichlich Opis gab.
Lediglich Burra wurde immer unverträglicher, und selbst Rujden vermochte sie nicht zu besänftigen.
Ihre Laune besserte sich schlagartig, als sie unter den Maschinenkriegern einen entdeckte, der mit einem großen metallenen Bogen bewaffnet war. Sie nahm ihm Bogen und Köcher ab, bewunderte die herrliche Arbeit und war wie verwandelt. Den Bogen zu spannen, überstieg fast ihre enormen Kräfte, und als Rujden es versuchte und nicht schaffte, hörte man siezum erstenmal wieder lachen. Während des ganzen Marsches schwebten die Maschinenvögel hoch über ihnen. Was sie erblickten, sahen auch die Chimerer, die sie lenkten. Aber es gab nur Eis zu sehen.
Manchmal holten sie einen der Vögel herab, und ein Mann stieg auf seinen Rücken und ließ sich hoch in die Lüfte tragen. Aber in der Kälte hielt es keiner lange aus.
*
Als sie schließlich den funkelnden Stern im Eis vor sich sahen, verstand Thonensen bereits fast so perfekt mit den Maschinen umzugehen wie die Chimerer. Selbst die Feuerstäbe vermochte er zu entfachen.
Der Stern über ihnen am fast schwarzen Firmament war zum Greifen nah und doch noch so unerreichbar fern.
Daß das Ziel endlich vor ihnen lag, erfüllte die mit Genugtuung, die daran geglaubt hatten, und erleichterte die Zweifler.
Der Nordstern war in der Tat eine elf zackige Insel aus Licht, die aus ihrem tiefsten Innern heraus leuchtete und flackerte. Aller Blicke aber richteten sich mißtrauisch auf die zwölfte Zacke, die ihnen genau entgegenwies. Sie war dunkel.
Und da war noch etwas nicht weit von der dunklen Zacke:
Ahang, der Anführer der Chimerer, der an diesem Tag die Vögel lenkte, entdeckte es zuerst. Doch genau erkennen konnten sie es erst, als sie näher kamen.
Es war ein Schiff mit dem Schädel eines Einhorns am Bug. Es saß auf dem Eis auf, und der halbgefüllte Ballon in der Form eines riesigen Fisches schwebte kraftlos über ihm.
»Die Luscuma!« entfuhr es Nottr.
Es gab keinen unter den Gefährten, der sich nicht an das Schiff erinnerte, dessen Besatzung Netze auswarf und Menschen an Bord holte, um ihnen die Körper zu rauben.
Dilvoog warnte vor der dunklen Zacke. »Die Finsternis ist stark dort. Wir sollten erst Verbindung mit dem übrigen Stern aufnehmen, bevor wir uns auf einen Kampf einlassen. Ich bin nicht sicher, ob wir dafür gut genug gerüstet sind.«
So hielten sie größeren Abstand von der Dunkelzacke, die ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselte, daß der Angriff sie vollkommen unvorbereitet traf.
Lichtfinger griffen lautlos nach
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