Heidegger - Grundwissen Philosophie
syntaxwidrige und somit sinnlose Wortreihen zu bilden, ohne dabei die Regeln der Grammatik zu verletzen. Im Unterschied zur Sprachkritik der Logistik, die in erster Linie
Sinnkritik
ist, hat für Heidegger
jedes Urteil und entsprechend dann auch jede Frage einen Sinn
, insofern »in jeder Frage […]
etwas
gefragt« wird – das gilt auch für »die Frage: ›wieviel Gramm wiegt diese Kurve zweiter Ordnung?‹ « Auch diese Frage »ist streng genommen nicht ohne Sinn, insofern sich bei der Aufreihung der sieben Worte etwas denken läßt«, wenngleich Heidegger meint, daß sie »das Wesen des geometrischen Gegenstandes« verkennt, so daß die [38] »Antwort auf diese Frage […] als prinzipieller Irrtum zurückgewiesen werden« (GA 1, 160) muß, etwa: »Die Kurve zweiter Ordnung wiegt zwanzig Gramm«. Daß der
Sinn des Gesagten
fraglich werden kann, hat Heidegger also gar nicht auf der Rechnung. 32
Heidegger meint, daß die Wortbedeutungen die »Sache selbst« nicht erreichen oder nur so, daß ein »Rest« bleibt, der sich sprachlich nicht einfangen läßt, weil der Begriff und der Satz die »Sache selbst« nur verfehlen können. Diese bereits für die performative Einstellung der ersten Person ausgemachte Differenz zwischen dem, was ein Sprecher meint, und dem, was er sagt, wäre freilich nur dann plausibel, wenn es ein Maß für diese Differenz zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten gibt. Denn an irgendeinem Maß muß das, was sich gegenüber dem Gemeinten sprachlich nicht ganz sagen läßt, aufzuklären sein – und dieses Maß ist für Heidegger die
Selbsttransparenz des Meinens
. Hier wird deutlich, daß der frühe Heidegger einem
noetischen Ideal
verpflichtet ist, insofern das Erkenntnisziel in der
noetischen Evidenz
dessen liegt, was
ist
.
Wie bereits beschrieben, kritisieren sowohl Heidegger als auch Frege die natürliche Sprache im Namen einer anderen Instanz. Im Unterschied zu Frege und jenen, die ihm folgten, ist diese Instanz bei Heidegger im Rahmen der gegenstandstheoretischen Prädikations- und Bedeutungstheorie aber nicht eine symbolische Kalkülsprache – eine solche verdecke nämlich durch die »Anwendung der mathematischen Symbole und Begriffe (vor allem des
Funktionsbegriffs
) […] die Bedeutungen und Bedeutungsverschiebungen der Urteile« –, sondern es sind
Bewußtseinstatsachen
. Diese bilden bei Heidegger den Standard, an dem gemessen die natürliche Sprache der Aufklärung und Kritik unterzogen werden soll, weil sie das wirklich Individuelle nicht zu erfassen vermag. Das Problem freilich ist, daß es diesen Standard gar nicht gibt. Denn was eine »Ausdrucks
intention
ist, wissen wir nur, wenn wir wissen, was ein genauer
Ausdruck
dieser Intention ist oder wäre. [39] Andere als sprachliche Kriterien der Klarheit von Gedanken und Intentionen stehen uns nicht zur Verfügung.« 33
Im Zuge des
linguistic turn
und der von Heidegger später selbst vollzogenen
hermeneutischen Wende
verlieren jedoch mentalistische Standards ihre Plausibilität, so daß damit auch die gegenstandstheoretische Sprachkritik ihre Basis verliert. Bliebe dies nun das letzte Wort, dann würde es fast auf eine Frage des Geschmacks hinauslaufen, welche der beiden Positionen wir vertreten können. Beide Programme stehen unter erheblichem Rechtfertigungsdruck, allerdings nicht in der gleichen Weise. Denn man kann durchaus zugeben, daß die Logistik an die von Heidegger ausgemachten Grenzen gelangt, und trotzdem dafür argumentieren, daß die Logistik in prädikations- und bedeutungstheoretischer Hinsicht auf dem richtigen Weg war. Zwar muß die durch Wittgenstein initiierte Form der Sprach- und Metaphysikkritik, die mit der Etablierung eines
empirischen Sinnkriteriums
selbst noch dem positivistischen Einheitsprogramm und seiner therapeutischen Methode zugrunde lag, als gescheitert angesehen werden, da jenes Sinnkriterium, mit dem der Metaphysik ein für allemal der Garaus gemacht werden sollte, weder analytisch noch empirisch überprüfbar war, so daß der Begriff des Unsinns durch die unbefriedigende Definition des Sinnbegriffs selbst unsinnig zu werden drohte; ja, es läßt sich sogar zeigen, daß die Selbstanwendung des positivistischen Sinnkriteriums die Grundlage seiner eigenen Geltung zerstört 34 – womit zugleich auch die philosophische Allzweckwaffe gegen die Metaphysik stumpf wird. Doch wir können der Logistik zumindest darin folgen, daß die logische Struktur des prädikativen Satzes nicht
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