Heidegger - Grundwissen Philosophie
durch die traditionelle Ontologie gar nicht eigens thematisch wird. Oder anders: Die Fundamentalontologie will den Bereich erfragen, der der Frage im Rücken liegt, was »es gibt«. (SZ 7) Sie fragt nicht einfach danach, »was es gibt«, sondern nach den Bedingungen der Möglichkeit der Ontologie, und wäre insofern eine transzendentale Analyse im kantischen Sinne.
Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Ontologie erscheint insofern nicht als unsinnig, als die durch diese Ontologie aufgestellte Liste dessen, was es gibt, sich nicht von selbst versteht. Wer über Kieselsteine, Frösche oder Götter redet, der muß seine Rede auch rechtfertigen können. Sobald es eine Diskussion darüber gibt, was es gibt, sind beide Arten von Ontologie im Spiel, die traditionelle, die die Frage danach beantwortet, was es gibt, und die Fundamentalontologie, die die Frage danach beantwortet, ob die Liste, die durch die traditionelle Ontologie aufgestellt wird, sich auch rechtfertigen läßt.
Für die traditionelle Ontologie hat Willard van Orman Quine (1908–2000) die Frage, was es gibt, mit Rekurs auf die Frage beantwortet, auf welche Weise man eine ontische Verpflichtung eingeht. Transparent lassen sich ontologische Verpflichtungen dadurch machen, daß die Aussagen über das, was es gibt, in einer kanonischen Notation vorliegen, also in quantorenlogischer Form. Durch Quantoren werden Variablen gebunden, und das Binden einer Variablen – also das Quantifizieren – kommt einer Existenzbehauptung gleich. »Sein heißt [45] der Wert einer gebundenen Variablen« zu sein 6 , oder in der Sprache der Schulgrammatik formuliert: »zu sein heißt im Referenzbereich eines Pronomens zu sein« 7 .
Heidegger nun will die zweite Frage beantworten, die Frage, ob die Liste, die die traditionelle Ontologie aufstellt, sich auch begründen läßt, weshalb diese Ontologie auch keine bloß regionale Ontologie ist, sondern eben eine fundamentale Ontologie oder »Fundamentalontologie«. Damit ist die traditionelle Ontologie nicht entwertet. Dies wäre auch absurd. Was Heidegger für sich beansprucht, ist, diese Ontologie zu fundieren, was natürlich unterstellt, daß diese Ontologie fundierungsbedürftig und fundierungsfähig ist. Wenn man dies einmal mit Heidegger annimmt, erscheint auch die mit der Seinsfrage zusammenhängende Strategie nicht mehr absurd. Die Seinsfrage zielt dann »auf eine apriorische Bedingung der Möglichkeit nicht nur der Wissenschaften, die Seiendes als so und so Seiendes durchforschen und sich dabei ja schon in einem Seinsverständnis bewegen, sondern auf die Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologie selbst« (SZ 11). Denn wenn »die Wissenschaften […] Seinsweisen des Daseins« (SZ 13) sind und wenn das »es gibt« von diesem Dasein abhängig ist, erschließen sich die Seinsgebiete der jeweiligen Wissenschaften erst im Rückgang auf das Seinsverständnis derer, die sich in ihrer alltäglichen Existenz zu Seiendem in der Welt verhalten und die dann diesen naiven Umgang methodisch stilisieren und zur Präzisionsform der einzelnen Wissenschaften ausbauen.
Daher gilt es, in transzendentaler Einstellung hinter die von der Transzendentalphilosophie am Leitfaden der Wissenschaften freigelegte kategoriale Verfassung des Seienden zurückzufragen. Denn die Analyse dieses vorgängigen Seinsverständnisses wird erst mit jenen Strukturen des In-der-Welt-Seins thematisch, die Heidegger
Existenzialien
nennt, weshalb die existenziale Analytik des In-der-Welt-Seins auch den Namen einer fundamentalen Ontologie verdient.
[46] Dasein und Sinn
Nun ist auch hier der Begriff »Sinn« nicht eben ein eindeutiger Begriff. Zudem hätte er im Rahmen der Fundamentalontologie nur dann den Status eines philosophischen Grundbegriffs, wenn der Nachweis erbracht werden kann, daß mit seiner Hilfe die Struktur eines ganzen Gegenstandsbereiches beschreibbar ist und nicht nur einzelne seiner Momente. Und genau diesen Nachweis will Heidegger in
Sein und Zeit
antreten. Auf die Frage: »An
welchem
Sein soll der Sinn von Sein abgelesen werden?« antwortet er: »Am Dasein«. (SZ 7) Dem Dasein, das dadurch »ontisch ausgezeichnet ist, [daß] es diesem Seienden in seinem Sein
um
dieses Sein selbst geht« (SZ 12), kommt eine privilegierte Stellung zu, weil das Dasein einen ausgezeichneten Bezug zur Seinsfrage und die an sie angeschlossene Frage nach der Möglichkeit des Sinnverstehens hat. Nur
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