Heidegger - Grundwissen Philosophie
stellt nach Heidegger in der Gegenwart kein philosophisches Problem mehr dar, und zwar trotz der vielbeschworenen »Auferstehung der Metaphysik« 3 . Gleichwohl meint er, daß wir mit ihr auf eine noch näher zu erörternde Weise vertraut wären, wenn wir denn nur den Ausdruck »
seiend
« gebrauchen. »Jeder versteht: ›Der Himmel
ist
blau‹; ›ich
bin
froh‹ und dgl.« (SZ 4) Ungeachtet solcher Vertrautheit mit der Seinsfrage sei jedoch der Sinn dieser Frage im Verlauf der Jahrhunderte verdeckt worden, so daß die »durchschnittliche Verständlichkeit […] nur die Unverständlichkeit« demonstrieren würde, die in dieser Problematik liegt. Deshalb gilt es, »
die Frage nach dem Sinn von Sein
erneut zu stellen«, was »allererst wieder ein Verständnis für den Sinn dieser Frage« voraussetzt, das zu wecken Heidegger sich zur Aufgabe gestellt hat: »Die konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von
›Sein‹
ist die Absicht der folgenden Abhandlung.« (SZ 1) Die Seinsfrage ist für Heidegger »
die
Fundamentalfrage« der Philosophie.
Anders als die Metaphysik, die immer nur nach dem Sein des Seienden gefragt habe, will Heidegger nach dem »Sinn von Sein« fragen, wobei er unterstellt, daß sich diese Frage in einer nicht trivialen Weise beantworten läßt. Doch wonach fragt man eigentlich, wenn man die Frage nach dem »Sinn von Sein« stellt? Die Frage nach dem Sinn eines Ausdrucks, wie Heidegger sie stellt, wenn er nach dem »Ausdruck ›seiend‹ « fragt, scheint einen klaren Sinn zu haben: Hier wird schlicht nach der Bedeutung des Ausdrucks gefragt. Doch wonach fragt ein Sprecher, der nach dem »Sinn von Sein« fragt? Wenn [43] Heidegger gleich eingangs von
Sein und Zeit
der Metaphysik vorwirft, sie frage nur nach dem Sein des Seienden und nicht nach dem »Sinn von Sein«, so kann mit diesem Wort nicht das Wort selbst, also »Sein«, gemeint sein, da die Rede vom »Sein« des Seienden keinen Sinn ergebe. Was aber ist dann gemeint, wenn Heidegger die Frage des Aristoteles (384–322 v. Chr.) nach dem »Seienden des Seienden« aufnimmt und wenn er dann unterstellt, daß das Sein das ist, »was Seiendes als Seiendes« bestimmt? (SZ 6) Wonach also fragt Heidegger, wenn er die Seinsfrage formuliert? Ganz offensichtlich nicht nach einem Stuhl oder einem Tisch. Doch wonach fragt er dann?
Folgen wir Ernst Tugendhat, dann bleibt uns Heidegger eine Antwort auf diese Frage schuldig, wobei er auf eine nicht ausgelotete Zweideutigkeit aufmerksam macht: Einerseits soll Sein »Sein von Seiendem« sein, andererseits ist Heidegger am »ist« orientiert und verbindet diese Orientierung mit der These, daß alles Verstehen ein Seinsverstehen sei. 4 Und weil Heideggers Versuch, die Rede vom Sein als einen universellen Orientierungspunkt des philosophischen Fragens darzustellen, und seine These, daß in dem »ist« etwas zu finden sei, was unserer gesamtes Verstehen möglich macht, sich als unplausibel erweisen, hat seine Seinsfrage keinen klar ausweisbaren Sinn.
Nun war Heidegger in der Tat der Auffassung: »Sein […] ›ist‹ nur im Verstehen des Seienden, zu dessen Sein so etwas wie Seinsverständnis gehört« (SZ 183). Von daher wird man Tugendhats Behauptung nicht widersprechen können, daß Heidegger glaubt, all unser Verstehen werde durch dieses »ist« getragen, und daß Heidegger unter diesem »ist« umstandslos die Kopula, die Existenz, die Identität und das veritative »ist« verrechnet, nur um sagen zu können, daß dem »ist« eine einheitliche und universelle Bedeutung zukommt. Gleichwohl könnte sich der Frage ein ausweisbarer Sinn abgewinnen lassen, und zwar dann, wenn man sie als Frage nach der Begründungsmöglichkeit der traditionellen Ontologie versteht.
Deren Frage lautet: »Was gibt es?«, und sie beantwortet diese Frage mit einem einzigen Wort: »alles«. 5 Bei der Seinsfrage [44] handelt es sich offensichtlich nicht um die Frage der traditionellen Ontologie. Denn im Unterschied zu dieser Ontologie, die eine spezielle »Ixhausen-Ontologie« voraussetzt, womit die Gesamtheit der Arten und Dinge gemeint ist, die es Ixhausen zufolge gibt, geht es der Fundamentalontologie nicht um jemandes privaten »Teilchenzoo«. Sie scheint eher eine Theorie darüber sein zu wollen, wie Paula Kunkel oder etablierte Wissenschaftler zu einer solchen Entitätenmenge kommen und welche Struktur sie hat. Die Fundamentalontologie wäre also eine Ontologie, die mit der Seinsfrage in einen Bereich hineinfragen will, der
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