Heidegger - Grundwissen Philosophie
gleichsam
als-freies
Erfassen von etwas einer gewissen Umstellung bedarf« (SZ 149). Epistemisch relevante Wahrnehmungen, also solche Wahrnehmungen, wie sie Heidegger in seinen eigenen Beispielen beschreibt, sind erstens von unseren Erwartungen 14 abhängig, die in der Regel sprachlich realisiert sind, und sie sind zweitens propositional strukturiert und haben deshalb immer die Form » ... daß p«, wobei »p« als ganzer Aussagesatz den propositionalen Gehalt von Wahrnehmungsurteilen wiedergibt. 15
Damit hat sich Heidegger noch nicht auf die These festgelegt, daß die objektive Welt »durch und durch begrifflich« verfaßt ist, wie dies heute von Robert Brandom und John McDowell behauptet wird. 16 Heidegger konzipiert die Objektivität unserer Begriffe nicht als eine diskursiv artikulierte Spiegelung des
propositionalen Gehalts
einer bereits »an sich« strukturierten [64] Wirklichkeit, so daß die Hermeneutik der Faktizität, auf deren Basis Heidegger dann auch das Erkenntnisproblem entfaltet, gleichzeitig als eine Theorie der Struktur der Welt erscheint. Denn ansonsten müßte er nicht nur behaupten, daß wir die Welt immer nur begrifflich denken können, sondern, daß die Welt selbst begrifflich strukturiert sei. Daß wir die Welt nicht anders als begrifflich denken können, heißt jedoch nicht, daß sie in sich selbst begrifflich geordnet wäre. Die Wirklichkeit der Kategorien läßt sich daher nicht schon für jene selbst nehmen. Der Ausweg bei den erkenntnistheoretischen Lösungsversuchen des »Realitätsproblems« kann nicht in der Gleichsetzung des Begriffs der Wirklichkeit mit dem einer begrifflich bestimmten Wirklichkeit bestehen, weil sich die pragmatische Objektivitätsthese unter kritischen Vorzeichen nicht verteidigen läßt. Die Subjekt-Objekt-Spaltung der traditionellen Erkenntnistheorie will Heidegger nicht auf einer identitätsphilosophischen Basis überwinden. Er vertritt keinen pragmatisch transformierten Hegelianismus, der die Differenz zwischen Sprache und Welt zu einer Differenz erklärt, die in die Sprache fällt, sondern einen pragmatisch transformierten Kantianismus, der die Differenz zwischen Sprache und Welt als eine Differenz versteht, die in die Welt fällt – in eine Welt, die sich mit Heidegger als eine sprachlich erschlossene Welt verstehen läßt.
Bemerkenswert ist nun in diesem Zusammenhang, daß er eine völlig korrekte Analyse der hermeneutischen Als-Struktur liefert, die auf eine Bestätigung der
Propositionalitätsthese im Bereich der Intentionalität 17
hinausläuft und den Vorstellungsatomismus der klassischen Wahrnehmungstheorie und damit dann eigentlich auch die Synthesistheorie erledigt, da »etwas als etwas« selbst eine Proposition ist, und daß er dann das Verstehen des »etwas als etwas« im Sinne eines vorprädikativen Verstehens interpretiert. Heidegger ist davon überzeugt, daß »das Schema ›etwas als etwas‹ […] schon in der Struktur des vorprädikativen Verstehens vorgezeichnet« (SZ 359) sei und daß in diesem Verstehen ein gegebenes Mannigfaltiges noch [65] vor der apophantischen Synthesis von Subjekt und Prädikat zur Synthesis gebracht werde – weshalb er das »apriorische Perfekt« auch als Ermöglichungsbedingung der prädikativen Synthesis betrachtet.
Im Gegensatz zu Husserl, der als letzter großer Klassiker der Bewußtseinsphilosophie die Lebenswelt noch ausgehend von den intentionalen Gesamtleistungen eines transzendental-solipsistisch verstandenen Ich-Bewußtseins verständlich machen wollte, rückt Heidegger die Nichthintergehbarkeit einer sprachlich erschlossenen Lebenswelt in den Mittelpunkt der Betrachtung, die ihre Entsprechung in den Lebensformen von Wittgenstein findet, die mit unseren Sprachspielen verzahnt sind. Beide spielen auf ihre Weise die Nichthintergehbarkeit der Lebenswelt gegen den Weltbegriff der Tradition aus und eröffnen damit dem philosophischen Denken den Blick für die Abhängigkeit unseres Selbst- und Weltverständnisses von dem alltäglichen In-der-Welt-Sein und damit von den spezifisch welterschließenden Leistungen der Sprache. Im Gegensatz aber zu Wittgenstein, der das »hermeneutische Vorverständnis« im Sinne eines »Hintergrundes massiver Übereinstimmungen« versteht, der in nichts anderem als in einer »Übereinstimmung in den Urteilen« 18 besteht, versteht Heidegger dieses Vorverständnis im Sinne der Synthesistheorie als eine vielschichtige intentionale Gesamtleistung durch »Zusammensetzung« – und
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