Heidegger - Grundwissen Philosophie
dies ist es, was Heidegger bei aller Kritik an der Tradition mit dieser verbindet.
Obwohl die von Heidegger analysierten Erschließungsleistungen recht besehen gar nicht vorprädikativer Art sind, eben weil das »epistemische Sehen« die Form » ... daß p« aufweist, obwohl die von Heidegger analysierte Als-Struktur der Wahrnehmung nicht nur zeigt, daß wir hier immer schon den Bereich des Sprachlichen betreten haben, sondern auch den Bereich der Prädikation 19 , kommt er zu der völlig unplausiblen Schlußfolgerung, daß das hermeneutische Als, das eine Bedingung der Möglichkeit der Prädikation darstellt, zwar intentional, aber eben vorprädikativ verstanden werden muß.
[66] Heidegger bietet also mit seiner Erschlossenheitsanalyse eine Lösung für ein Problem an, das von Aristoteles bis zu Kant nie befriedigend gelöst wurde, indem er zeigt, daß unsere epistemisch relevanten Wahrnehmungen propositional strukturiert sind, und interpretiert dann die im hermeneutischen Als entdeckte Struktur als eine vorprädikative Struktur. Dies ist aber nicht einzusehen. Denn wenn die im hermeneutischen Als entdeckte Struktur wirklich die Form hat, die sie nach Heidegger haben soll, nämlich die Struktur des »etwas als etwas«, dann stellt sich die Frage, was diese Struktur »eigentlich anderes sein soll als die Grundstruktur der Prädikation« 20 .
Der Grund für die Problemverfehlung ist leicht benannt: Heidegger geht einerseits davon aus, daß Mannigfaltiges gegeben ist und Einheit hergestellt wird, und andererseits davon, daß dies auf zwei Ebenen geschieht, die zueinander in einer eindeutigen Fundierungsbeziehung stehen, auf der hermeneutischen Ebene des Verstehens und auf der apophantischen Ebene des Urteils. Daran wird deutlich, daß die synthesistheoretische Urteilstheorie und die synthesistheoretische Verstehenstheorie aufeinander zugeschnitten sind, insofern die ontologische Synthesis die Bedingung der Möglichkeit für die prädikative Synthesis darstellt. Und nur unter dieser Voraussetzung macht es überhaupt Sinn, die Kantische Synthesistheorie ontologisch zu fundieren – hoffend, daß sich damit dann auch die Probleme auflösen, die im Rahmen des Kantischen Theorieansatzes keine befriedigende Lösung fanden. Heidegger hätte den Synthesisbegriff in seinen beiden Varianten nicht benötigt, wenn er gesehen hätte: Ein prädikatives Urteil zu bilden bedeutet für eine Person, zu der Überzeugung zu kommen, daß ein Satz wahr ist. Und wenn er dann von der Einsicht, daß man einzelne Urteile nicht mit der Einzelheit eines sinnlich Gegebenen gleichsetzen darf, dazu fortgeschritten wäre, daß Erkenntnis als eine Relation zwischen Personen und Propositionen aufzufassen ist.
So aber meint er von der Voraussetzung ausgehen zu können, Mannigfaltigkeit sei gegeben und werde per Synthesis zur [67] Einheit gebracht. Dabei ist dies alles andere als selbstevident. Denn woher wissen wir dies denn, wenn wir John Locke (1632–1704) und Kant nicht gelesen haben? Daß dem so ist, können wir schließlich nicht durch Introspektion feststellen. Woher also will Heidegger wissen, daß ein Mannigfaltiges, das gar nicht als Mannigfaltiges wahrgenommen werden
kann
, weil es ja durch die ontologische Synthesis bereits auf eine Einheit und damit auf ein »ist« bezogen ist, überhaupt ein Mannigfaltiges
ist
?
Kant hätte auf diese Frage vermutlich geantwortet, daß uns die Sinnlichkeit »in ihrer ursprünglichen Rezeptivität« 21 ein Mannigfaltiges darbietet, das »doch nicht als ein solches vorgestellt werden würde« 22 , wenn der Verstand es nicht mit Hilfe der Begriffe, die quasi die verbindenden Elemente sind, synthetisiert hätte. Für Heidegger selbst war eine solche Antwort nicht akzeptabel, weil die Zurückführung der Erkenntnis auf die Apperzeption, die die »transzendentale Deduktion« vornimmt, nicht gelingt und weil »Kants Theorie von den zwei Stämmen« in der Luft hänge und durch einen »dritten Stamm« ergänzt werden müsse, auf den Kant zwar verwiesen hat, aber nicht weiter eingegangen ist. (GA 25, 277) Es ist hier nicht der Ort, um die Sachangemessenheit der These zu prüfen, daß Kant selbst mit einer dritten Synthesis operiert, für die sich in der
Kritik der reinen Vernunft
jedoch kein systematischer Ort findet. Fest steht, daß Heidegger der Kantischen Synthesistheorie solch eine Synthesis zuschreibt, die als »reine Synthesis« die alles »tragende und leitende
Einheit
« darstellt. (GA 25, 283) Und
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