Heidelberger Lügen
Fünfhundert Meter weiter wurde der Weg schlecht, und wir mussten am Straßenrand weitergehen. Es stellte sich heraus, dass sie eigentlich gar keine Schuhe dabei hatte, die sich für längere Spaziergänge eigneten. Auf meine – zugegeben vielleicht ein wenig patzige – Frage, warum um Himmels willen sie das nicht gleich gesagt hatte, erhielt ich keine Antwort.
Das schmale Nebensträßchen war alles andere als stark befahren, aber eine Straße entlangzuwandern macht manchen Menschen eben keinen Spaß. Vor allem, wenn sie schlechte Laune haben und ihnen mit jedem Schritt die Füße mehr wehtun. Merkwürdigerweise schien Bad Wimpfen auch kein bisschen näher zu kommen. Vielleicht war die Entfernungsangabe dieses blöden Typs an der Rezeption doch ein wenig zu optimistisch gewesen? Mag sein, dass mir die eine oder andere unpassende Bemerkung herausrutschte, ungefähr bei Kilometer zweikommafünf wurde das Vokabular meiner Göttin ungewohnt derb, sie hatte die erste Blase und definitiv keinen Bock mehr weiterzugehen. Ich hätte sie nicht überreden sollen, die Zähne zusammenzubeißen. Und vielleicht auch nicht in diesem Ton. Kurz vor Kilometer drei begann es auch noch zu nieseln, woran selbstredend ich schuld war. Wer hatte schließlich diese unsäglich dämliche Idee gehabt, zu Fuß eine Stadt zu besuchen, die mindestens zwanzig Kilometer entfernt war, wie jeder halbwegs vernunftbegabte Mensch auf den ersten Blick sehen konnte?
Als ich endlich das Handy zückte, um nach einem Taxi zu telefonieren, sprach Theresa schon nicht mehr mit mir. Und ich auch nicht mit ihr.
Wir reisten früher ab als geplant und schwiegen während der Fahrt vor uns hin. Zum Abschied knallte sie die Wagentür mit beachtlicher Kraft hinter sich zu. Inzwischen regnete es wieder in Strömen.
Die Zwillinge empfingen mich verdächtig wortkarg und in gedrückter Stimmung. Sie schienen Streit zu haben, was selten vorkam, aber es gelang mir nicht herauszufinden, weswegen. Auf meine leutselige Frage, was sie denn so getrieben hatten, murmelten sie nur etwas von »Schwimmbad«.
Immerhin hatte es keine wilden Partys gegeben. Nach dem Zustand der Wohnung und des Kühlschranks zu schließen, hatten keine größeren Horden bei uns übernachtet. Kein Nachbar begehrte mich dringend zu sprechen, nichts musste repariert werden. Zu verdächtig früher Uhrzeit verschwanden meine Mädchen in ihrem Zimmer.
7
Das Wetter hatte umgeschlagen. Ein stürmisches Atlantiktief erklärte alle Frühlingsgefühle des Wochenendes zum Hirngespinst. Sönnchen begrüßte mich wie üblich mit strahlender Laune, zwei Croissants und einem Kännchen Kaffee. Dazu servierte sie gute Neuigkeiten. Schon in der Nacht von Samstag auf Sonntag war Vitus Hörrle verhaftet worden. Bei einer Routinekontrolle am Bahnhof von Oberhausen hatte er behauptet, man habe ihm sämtliche Papiere gestohlen. Die Schupos waren jedoch auf Draht. Ein kurzer Anruf beim Revier, und bald darauf trug Hörrle wieder Handschellen. Sein Widerstand musste spektakulär gewesen sein, und so hatte er nun neben der Mordanklage auch noch eine Anzeige wegen diverser anderer Delikte am Hals. Einer der Schupos hatte das Wochenende sogar im Krankenhaus verbringen müssen.
Schon beim Zähneputzen hatte ich mir vorgenommen, heute endlich Vanessa Kriegel anzurufen und ihr irgendetwas zu erzählen, was sie zufrieden stellte. Ich wollte diese Geschichte aus dem Kopf haben. Ich wollte nicht mehr an dieses Hotel denken und vor allem nicht an die Frau, mit der ich dort die letzten beiden Tage verbracht hatte.
Wie üblich blieb Sönnchen beim Frühstück ein wenig bei mir sitzen, und wir erzählten uns vom Wochenende. Sie war am Bodensee gewesen und hatte in Meersburg eine Schwester besucht, die mit einem außerordentlich frommen Mann und neun ungewöhnlich braven Kindern gesegnet war.
»Und dabei ist sie sonst eigentlich ganz normal, Herr Kriminalrat«, erklärte Sönnchen mir ernsthaft. »Stellen Sie sich vor, sogar in der Kirche sind wir gewesen am Sonntag, und alle Kinder sind freiwillig mitgekommen!« Sie schenkte Kaffee nach. Die Croissants, die sie jeden Morgen beim Bäcker an der Ecke besorgte, waren wie üblich vorzüglich. »Bei der Predigt bin ich leider eingeschlafen. Ich schlaf ja immer ein, wenn einer länger redet.«
Von meinem Wochenende erzählte ich zurückhaltend. Meine Sekretärin erfuhr lediglich, dass »wir« einen Ausflug den Neckar hinauf gemacht hätten. Natürlich nahm sie an, dass ich mit meinen
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