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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Worte in dieser Angelegenheit.
    Wir beschlossen, ins Dorf hinunterzugehen und dort eine Kleinigkeit zu essen. Arm in Arm schlenderten wir die schmale, mittäglich stille Straße entlang. Es roch gerade so stark nach Landwirtschaft, dass es noch angenehm war. Nicht weit von uns floss der Neckar träge durch feuchte Wiesen. Hinter einem Tor muhte eine Kuh. Ein tief im Wasser liegender Frachtkahn brummte flussaufwärts. Irgendwo in der Ferne tuckerte ein Traktor. Das Leben war schön. Die Sonne hörte nicht auf zu scheinen.
    Den größten Teil des Nachmittags verbrachten wir im Bett. Aber zu mehr als trägen, nachdenklichen Zärtlichkeiten reichte unsere Kraft nicht mehr. Hin und wieder übermannte mich mein schlechtes Gewissen wegen meiner Töchter. Ich begann, mir Sorgen zu machen, weil ich so gar nichts von ihnen hörte. Als Theresa im Bad war, rief ich zu Hause an. Aber niemand nahm ab. Sollte ich es über eines der Handys versuchen? Ich ließ es bleiben. Am Ende hätte ich sie doch noch erreicht und mich über irgendetwas aufregen müssen.
    Da es zum Abendessen noch zu früh war, machten wir einen Spaziergang über die Felder. Nicht weit von uns leuchteten auf einem Hügelkamm die stolzen Türme von Bad Wimpfen in der Abendsonne.
    Theresa machte sich um meine Bildung verdient. Schließlich wollte sie nicht umsonst Geschichte studiert haben. »Wimpfen ist eine alte staufische Kaiserpfalz, Gründung um 1200 durch Kaiser Barbarossa höchstpersönlich. Die Reste des Hohenstaufenpalasts sind eines der interessantesten Beispiele romanischer Baukunst, die wir heute überhaupt noch haben. Vor allem das Steinhaus ist architekturgeschichtlich wirklich bemerkenswert. Das musst du dir unbedingt ansehen!«
    Ich erfuhr, dass Kaiserpfalzen immer von einem Ring von Schutzburgen umgeben waren, dass Wimpfen schon hundert Jahre nach der Gründung freie Reichsstadt wurde und dass 1622 eine der größten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges hier getobt hatte.
    »Vielleicht genau hier, wo wir jetzt gehen!« Theresa schien die Vorstellung, über menschliche Gebeine zu spazieren, aufregend zu finden. Mich dagegen hatten alte Geschichten schon immer gelangweilt. Selbst, wenn sie von Leichen handelten. Vielleicht, weil ich in meinem Beruf genug mit aufregenden Geschichten und Toten zu tun hatte.
    »Wenn du Lust hast, dann können wir uns die Stadt ja morgen ansehen«, schlug ich vor. »Ich glaube, es gibt sogar ein Schiffchen, mit dem man hinfahren kann.«
    Theresa fand das eine wunderbare Idee und verlor urplötzlich den Spaß am Geschichtsunterricht, weil ihr kalt wurde. Ich nahm sie in den Arm, um sie zu wärmen, und wir beschlossen, zum Hotel zurückzukehren und einen Tee zu nehmen. Zu diesem Zweck musste sich die Gnädigste, die sich eben erst umständlich angekleidet hatte, natürlich umziehen. Mit den Händen in den Taschen wartete ich vor dem Hoteleingang und beobachtete das Hereinbrechen der Dämmerung. Sachte wechselte die Farbe der Wolkenschleier im Westen von Weiß über Rosa zu Lila und schließlich Dunkelblau. Bis auf leise, heimelige Geräusche aus der Küche und das entfernte Summen irgendeines landwirtschaftlichen Geräts war es ganz still. Selbst die Vögel hatten Feierabend gemacht. Im Süden, nicht weit über dem Horizont, war schon der erste Stern zu sehen. Der Abendstern, war das die Venus oder der Mars? Dass ein Stern so schön sein kann.
    Dies war einer jener heiligen Momente in meinem Leben, in denen ich vollkommen glücklich war.
    Jemand trat so leise neben mich, als wollte er meine Andacht nicht stören. Es war die junge Frau von der Rezeption. Sie zündete sich eine Zigarette an und nickte mir zu. Wir schienen uns inzwischen schon so gut zu kennen, dass Förmlichkeiten nicht mehr nötig waren. Ich gehörte zur Familie, und genau so fühlte ich mich auch. Die Lichter im Park gingen an. Die Kirchturmuhr schlug fünf. Plötzlich war die Luft feucht, und ich spürte, wie kühl es geworden war.
    »Nicht viel los zurzeit?«, fragte ich lächelnd.
    Die Frau neben mir sah hinaus in den Park, der im letzten Licht allmählich seine Farben verlor. »Bald wird es mehr. Wenn der Frühling kommt.«
    Ein dunkler Jaguar fuhr vor, das alte Paar, das ich am Mittag schon gesehen hatte, mochte von einem Ausflug zurückkommen. Wir traten zur Seite, um sie einzulassen. Die Hotelangestellte ging mit hinein, um ihnen den Schlüssel auszuhändigen. Dann kam sie zurück und nahm ihre Zigarette wieder auf, die sie auf einem

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