Heidelberger Lügen
Töchtern unterwegs gewesen sei, die sie gleich zu Beginn unserer Zusammenarbeit unwiderruflich in ihr großes, weiches Herz geschlossen hatte. Als ich das Schlosshotel erwähnte, wurde sie aufmerksam.
»Da haben Sie bestimmt den Lorenzo getroffen. Der ist ja dort Portier. Der Lorenzo ist nämlich früher mit meiner ältesten Schwester in die Schule gegangen. Daher kenn ich ihn.«
Warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Sönnchen kannte ja in Heidelberg alles und jeden. Gegen ungefähr ein Viertel der Bevölkerung hatte sie schon im Tennis verloren, mit dem zweiten Viertel sang sie zusammen in irgendeinem Chor, und den Rest kannte sie über Umwege wie zum Beispiel ihre zahllosen Schwestern. Ich bat sie, mir die Telefonnummer dieses Herrn Lorentz zu besorgen. Sie freute sich über die Aufgabe.
»Wenn Sie ihn anrufen, dann richten Sie ihm bitte Grüße aus, von Sönnchen.«
»Hat man Sie denn als Kind auch schon so genannt?«
»Schon als Baby. Weil ich immer so hübsch gelacht hab, hat meine Mutter gesagt.«
Manche Menschen bleiben sich ein Leben lang treu.
»Übrigens«, sagte sie beim Abräumen lächelnd, »jetzt muss ich es doch mal sagen. Ich finde, die Brille steht Ihnen. Sie wirken viel wichtiger damit.«
Nachdem sie weg war, blieb mir noch eine Viertelstunde, bis meine Leute zur morgendlichen Lagebesprechung kamen. Ich trat ans Fenster. Der Sturm warf den Regen gegen die Scheiben. Obwohl die Heizung kochte, war es nicht wirklich warm in meinem Büro. Heute verspürte ich nicht einen Hauch von Sehnsucht nach Theresa. Wenn es etwas gibt, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann sind es launische Frauen. Schon Vera hatte mich mit ihren unberechenbaren Stimmungsumschwüngen, die meist genau dann kamen, wenn ich mich gerade besonders wohl und sicher fühlte, tausend Mal zum Entschluss gebracht, sie zu verlassen.
Vielleicht war jetzt die Gelegenheit, diese leidige Geschichte zu beenden? Lieber ein Finale mit Schrecken als eine Stelle in einem Revier im hinteren Odenwald. Irgendwann würde Liebekind uns erwischen, wenn das so weiterging. War es nicht sowieso völliger Irrsinn gewesen, mich ausgerechnet mit seiner Frau einzulassen? Genau. Schluss. Keine konspirativen Treffen mehr, keine feuchten Hände bei jedem Anruf meines Chefs, nie wieder verlogene Ausflüchte gegenüber meinen Töchtern. Ich schaltete den Laptop ein. Keine Mail von Theresa. Gut so. Meinen Bedarf an weiblichen Zicken konnten auch meine Töchter decken.
Mit frischem Schwung nahm ich mir meine Statistik wieder vor. Heute fand ich den Rechenfehler bei den Taschendiebstählen sofort, der mich am Freitag fast zur Verzweiflung getrieben hatte. Die Hälfte meiner Arbeitszeit verbrachte ich inzwischen damit, Aufklärungsquoten schönzurechnen, dabei jedoch die ständig zunehmende Bedrohung des Bürgers durch eine immerzu wachsende Kriminalität nicht herunterzuspielen, weil Stuttgart uns andernfalls umgehend Stellen und Mittel gestrichen hätte. Das Beste war, so hatte mir Liebekind beigebracht, steigende Kriminalitätsraten bei gleichzeitig leider nur leicht zunehmenden Aufklärungsquoten nachzuweisen. Aus diesem Grund wurden bei uns – und selbstverständlich nicht nur bei uns – selbst offensichtliche Kinderstreiche als Sachbeschädigung protokolliert und harmlose Rangeleien zwischen zwölfjährigen Jungs als Körperverletzung. Nach meinen heutigen Maßstäben war ich mit fünfzehn Jahren ein Verbrecher gewesen.
Ich hatte leichte Kopfschmerzen, die auch durch den Kaffee nicht weggehen wollten.
Nach der großen Besprechung mit den Kommissariatsleitern bat ich Klara Vangelis, dazubleiben und rief Sven Balke hinzu. Vangelis hatte die Fahndung nach McFerrins Mercedes auf das Ruhrgebiet ausdehnen lassen für den Fall, dass Hörrle doch der gesuchte Mörder sein sollte und mit dem Mercedes nach Oberhausen gefahren war. Sogar sie sah heute müde aus. Vermutlich hatte sie den gestrigen Abend wieder in der Taverne ihres Vaters in Dossenheim verbracht. Dennoch war sie, während wir anderen gähnten und seufzten, konzentriert bei der Sache.
»Wir sind übers Wochenende keinen Schritt weitergekommen«, setzte sie ihren Bericht fort. »Die Nachbarn haben wir inzwischen alle abgehakt. Es ist nichts Neues dabei herausgekommen. Seine Verwandtschaft in Bristol hatte kaum Kontakt zu ihm. Schwul scheint er immerhin nicht gewesen zu sein. In den einschlägigen Lokalen hat niemand sein Foto erkannt.«
»Diesen Moritz Meyers, seinen Kollegen, haben
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