Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Mauervorsprung abgelegt hatte.
    »Was ist das für eine Geschichte mit diesem Herrn Kriegel?«, fragte sie leise.
    »Ich weiß kaum mehr als Sie. Er hat hier ein Zimmer gehabt, ist aber irgendwann nach Mitternacht aufgebrochen und auf der Bundesstraße hinter Mosbach von der Straße abgekommen.«
    »Einfach so?«
    »Ich weiß es nicht. Es hat ziemlich geregnet, er ist vermutlich zu schnell gefahren. Vielleicht war er übermüdet. Betrunken war er nicht, so viel steht immerhin fest.«
    »Und warum interessiert sich die Kriminalpolizei dafür? Wenn es doch ein Verkehrsunfall war?«
    Sie nahm einen tiefen Zug und behielt den Rauch lange in der Lunge. Ein Steinchen ihres Ohrschmucks glitzerte im Licht, das von hinten durch die offenen Türen auf sie fiel.
    Ich erzählte ihr von Vanessa Kriegel und ihrer Sorge, ihr Mann könnte sie in den letzten Stunden seines Lebens betrogen haben. Meine Zuhörerin nickte einige Male, als könnte sie sich gut in die Situation der unglücklichen Witwe hineinversetzen.
    »Wollen Sie ihr eine ehrliche Antwort geben, oder möchten Sie sie bloß beruhigen?«
    »Am liebsten wäre mir eine ehrliche Antwort, die sie beruhigt.«
    Wieder nickte sie ernst. »Ich hab vorhin mal im Computer nachgeguckt. Es waren damals drei Damen im passenden Alter und ohne Begleitung im Haus.«
    »Hat eine davon das Nachbarzimmer bewohnt?«
    Sie warf das Haar zurück. »Irgendwas muss an dem Abend schief gegangen sein beim Einchecken. Manche Einträge im PC sind nicht vollständig. Bei vielen fehlt die Zimmernummer, bei manchen Zimmern fehlt der Name.«
    Mir kam eine Idee: »Hat eine der Damen ebenfalls gleich bei der Ankunft bar bezahlt?«
    Sie trat ihre Zigarette aus und kickte den Stummel ins Gebüsch. »Auch das ist nicht eingetragen. Ich weiß nicht, was da los war. So eine Unordnung haben wir sonst nie.«
    Eine Weile schwiegen wir. Langsam wurde mir kalt.
    »Was werden Sie der Frau jetzt erzählen?«
    »Vielleicht nur den beruhigenden Teil der Wahrheit. Dass ihr Mann hier ein Zimmer hatte und dass er es allein bewohnt hat.«
    Wir gingen hinein. Sie trat hinter ihren matt schimmernden Tresen und winkte mir ganz unprofessionell freundlich lächelnd zu. Plötzlich wurde ihr Blick starr, als wäre ihr etwas eingefallen.
    »Moment!« Sie ging in die Hocke und suchte etwas. »Vielleicht haben wir Glück.«
    Als sie wieder hochkam, legte sie einen schmalen Ordner auf den Tisch, blätterte, der schlanke Zeigefinger mit perfekt gepflegtem Nagel fuhr eilig über eine Liste. »Bingo!«
    Sie klappte den Ordner wieder zu und sah triumphierend auf.
    »In der Nacht hat Lorenzo Dienst gehabt. Wenn einer weiß, was damals los war, dann er. Lorenzo hat ein Gedächtnis wie ein Elefant.«
    »Könnte ich den Herrn sprechen? Ist er im Haus?«
    »Lorenzo ist Ende des Jahres in Rente gegangen. Dabei war er noch gar nicht so alt, aber die Beine haben es nicht mehr getan. Seither habe ich die Stelle. Und ich glaube, ich kriege auch schon Krampfadern vom ständigen Stehen.«
    »Haben Sie vielleicht seine Adresse oder die Telefonnummer?«
    Bedauernd hob sie die Schultern. »Ich weiß nur, dass er irgendwo in der Gegend von Heidelberg wohnt. Er soll ein Haus geerbt haben.«
    Sie schrieb den Namen auf und reichte mir den Zettel. Horst-Heinrich Lorentz, las ich.
    Jemand kam die Treppe herab. Ich steckte den Zettel ein und drehte mich um. Wie immer war es der Auftritt einer Königin. Theresa strahlte auf mich herunter – im vollen Bewusstsein ihrer Attraktivität, ihrer Macht über mich. Nie hatte ich eine Frau getroffen, die es verstand, auf so hinreißende Weise arrogant zu sein wie sie. Oder sollte ich sagen, auf so arrogante Art hinreißend?
     
    Das Ende der Idylle begann am Sonntagvormittag, um fünf nach zehn. Das Schiffchen nach Bad Wimpfen fuhr leider nur im Sommer, erfuhren wir an der Rezeption, die heute von einem großen Mann mit kühler Miene bewacht wurde. Das Wetter war immer noch gut, und er meinte, es seien höchstens drei oder vier Kilometer, bequem in einer Stunde zu gehen, und im Restaurant beim Blauen Turm speise man vorzüglich. Zurück könnten wir ja ein Taxi nehmen, falls der Weg doch zu weit sein sollte für die Herrschaften. Theresa fand, drei Kilometer seien keine Entfernung, und freute sich auf die Gelegenheit, meine Kenntnisse in mittelalterlicher Geschichte weiter zu vertiefen.
    Arm in Arm zogen wir los.
    Nach dem ersten Kilometer stellte Madame fest, dass sie leider die falschen Schuhe gewählt hatte.

Weitere Kostenlose Bücher