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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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…«
    »Tut uns Leid«, murmelte der andere. »Ehrlich. Aber wir wussten doch nicht …«
    Nun blieb mir nichts anderes übrig, als die beiden einzuweihen und zu hoffen, dass nicht eine Stunde später der halbe Ort Bescheid wusste. Es war ihren Blicken anzusehen, wie gerne sie mitgemischt hätten, wie sehr sie darauf brannten, ihren öden Streifendienst in einem Ort, wo nie etwas passierte, durch ein wenig Action zu beleben. Aber sie versprachen tapfer, dass vom hiesigen Revier ohne meinen ausdrücklichen Befehl in dieser Nacht kein Fahrzeug auf der Straße sein würde.
    »Sie kennen doch vermutlich diese Frau Hörrle?«, fragte ich.
    Die beiden grinsten sich an. »Aber klar doch«, antwortete der Fahrer mit verlegenem Hüsteln. »Klar kennen wir die.«
    »Was ist daran so lustig?«
    »Na ja. Sie …« Wieder gluckste er. »Die betreibt in ihrem Haus so eine Art Privatpuff. Früher, da ist sie ja eine Weile richtig auf den Strich gegangen. Aber jetzt macht sie’s nur noch daheim. Im Nebenerwerb sozusagen.«
    »Augenblick mal, das Haus da hinten ist ein Bordell?«
    »Das nun auch wieder nicht. Da ist ja nur sie allein. Und es ist auch nicht so viel Betrieb da. Drum können wir nichts dagegen unternehmen, obwohl uns die Nachbarn ständig in den Ohren liegen. Und deshalb …«
    »Was, deshalb?«
    »Drum haben wir Sie doch angesprochen. Weil wir gedacht haben …«
    »Na ja«, brummte der Beifahrer verlegen. »Wir haben uns schon ein bisschen gewundert. Sonst sind ihre Freier ein paar Jährchen älter. Und sie haben normalerweise auch keinen Hund dabei.«
    »Sie wollen also sagen, dieses Haus ist so etwas wie ein Seniorenpuff?«
    »Sie ist ja nicht mehr die Jüngste«, meinte der Ältere der beiden. »Und auch Nutten haben ihre Probleme mit der Globalisierung. All die Russinnen und Ukrainerinnen, die’s für ’nen Zwanziger ohne Gummi machen. Dann muss man eben nehmen, was der Markt hergibt.«

12
    »Gut, dass der Dackel eine Marke am Halsband hat«, brummte Balke, nachdem ich von meinem Zusammenstoß mit den hiesigen Ordnungskräften berichtet hatte, »sonst müssten wir noch Kaution für Sie hinterlegen.« Seine Laune verschlechterte sich von Stunde zu Stunde.
    Auch die Luft im Wagen war während meiner Abwesenheit nicht besser geworden. Inzwischen roch es aus Runkels Richtung deutlich nach Schweißfüßen. Ich verzog mich ein wenig in den Hintergrund. Eigentlich sollte ich jetzt nach Hause fahren und mir meine missratenen Töchter vorknöpfen. Aber ich hatte keine Lust dazu. Vielleicht war es sogar besser, das notwendige Donnerwetter morgen früh zu veranstalten, wenn ich nicht mehr so wütend war. Auf der anderen Seite – sie hatten ja nicht wirklich gelogen. Ich hatte gar kein Recht, ihnen böse zu sein. Tat ich denn nicht jeden Tag dasselbe? Die Statistik fürs Innenministerium zum Beispiel hatte ich nach genau derselben Strategie erstellt. Manche Wahrheit verschwieg ich. Oder ich stellte sie in einen falschen Zusammenhang, um den Leser auf die falsche Fährte zu führen, ohne dass er mich der Lüge bezichtigen konnte. Er hatte mich falsch verstanden, was konnte ich dafür? Was konnten meine Mädchen dafür, dass ihr Vater nicht wusste, dass es in Heidelberg Schwimmbäder ohne Wasser gab?
    In den nächsten zwei Stunden geschah nichts, außer dass hin und wieder ein Auto mit zu hoher Geschwindigkeit durch den Ort rauschte und alle Viertelstunde die Kirchturmuhr schlug. Zwei Mal rief ich zu Hause an, aber niemand hob ab. Sollten sie etwa schon wieder in dieser Diskothek sein? Vielleicht lagen sie auch längst brav im Bett. Einmal ging Runkel hinaus, um auf die Toilette zu gehen. Wir nutzten die Gelegenheit, um zu lüften.
    »Wir dürfen das Klo der Buchhandlung benutzen«, erklärte mir Balke.
    Aus den Lautsprechern, welche die Geräusche des Richtmikrofons übertrugen, drang nichts als monotones Rauschen. Hin und wieder hörte ich das leise Piepen eines Vogels, der vermutlich unter Anne Hörrles Dach nächtigte. Mehrfach ging jemand zur Toilette, die zur Straße hin lag, sodass uns keines der dabei entstehenden Geräusche entging. Die Tante war also doch zu Hause. Warum hatte sie dann am Nachmittag nicht geöffnet? Manchmal hörten wir ein verschlafenes Gackern aus dem Hühnerstall, der sich hinter dem Haus befinden musste. Runkel kam zurück und sank wieder auf seinen Stuhl.
    »Da!« Balkes Stimme schreckte mich aus dem Dämmerschlaf. Er deutete auf den Monitor der Infrarot-Kamera. Eine blassgrün schimmernde

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