Heidelberger Lügen
mit schönem Profit weiterverkauft.
Meine Gedanken ließen sich nicht abschalten. Ich legte die Zeitung zur Seite, schloss die Augen und versuchte, die milde Wärme der ersten Frühlingssonne zu genießen.
Die zentrale Frage war im Moment, was Hörrle vorhatte. Wozu war er ausgebrochen? Und was sollte dieser Unfug mit seiner Tante? Auch nach längerem Grübeln fiel mir nur eine Erklärung ein: Wie McFerrin war auch er auf der Spur des großen Unbekannten, um ihm das Geld abzunehmen, das dieser gar nicht hatte. Gewiss hatte Hörrle nicht geplant, so wie jetzt in der Falle zu sitzen, umlagert von Polizei und Presse. Ich trank einen Schluck Saft, gähnte und streckte mich. Meine Lider wurden schwer, meine Gedanken gerieten auf Abwege.
Das Handy schreckte mich aus dem Dämmerschlaf. Es war Vangelis, die zurzeit wieder einmal in Wieblingen das Kommando führte.
»Hier ist etwas im Gange.« Ihre Stimme klang angespannt. »Wir hören auf einmal jede Menge Geräusche im Haus.«
»Was für Geräusche?«
»Ich weiß nicht. Es klingt, wie wenn er Möbel rückt.«
Ich bat sie, mich auf dem Laufenden zu halten. »Und fordern Sie das SEK an. Nur für alle Fälle«, wies ich sie nach kurzem Überlegen an. »Es klingt, als würde es bald spannend.«
»Hoffentlich«, erwiderte sie. »Diese Langeweile bringt einen um.«
Beim Betrachten meines Handys fiel mir noch eine Gemeinsamkeit auf: Hörrle und McFerrin waren nicht nur beide Soldat. Sie verstanden auch beide etwas von Technik, von Elektronik. McFerrin war Ingenieur gewesen. Sollte auch er mit Abhörtechnik zu tun gehabt haben? War dies der Missing Link, die gesuchte Verbindung zwischen den beiden? Bei diesem NATO-Lehrgang in Hamburg hatten sie sich vermutlich kennen gelernt. Worum war es dort gegangen?
Ich wählte Vangelis’ Nummer.
»Ich erinnere mich«, sagte sie nachdenklich. »Unter seinen Papieren waren Bescheinigungen über verschiedene Kurse, die er absolviert hat. Da ging es um solche Sachen. Und die Briten hatten in der Nähe von Lüneburg eine Abhörstation, mit der sie den Funkverkehr der Sowjets überwachten. Dort war McFerrin mehrere Jahre stationiert.«
Die nächste Nummer, die ich im Telefonbuch meines Handys suchte, war Balkes. Die Frage, die ich jetzt hatte, konnte nur er mir beantworten. Ich hoffte, er war nicht mehr allzu wütend auf mich, und setzte sofort zu einer ausschweifenden Entschuldigung an. Schließlich hatte ich ihm für heute freigegeben. Zu meiner Überraschung war er jedoch blendender Laune und fühlte sich kein bisschen gestört.
»Mach ich doch gerne«, erwiderte er zuvorkommend. »Hab doch alles hier auf meinem PDA. Sekündchen nur …«
Der erste Mann, mit dem ich anschließend telefonierte, war der Offizier vom Dienst bei der Division in Regensburg. Ein junger Major mit Eunuchenstimme hatte den Namen Hörrle natürlich noch nie gehört und hielt mir einen Vortrag über Dienstwege, Geheimhaltungsvorschriften, Rechte und Pflichten. Immerhin nannte er mir am Ende die Nummer eines pensionierten Obersts in Weiden.
Auch dieser war hörbar erstaunt über mein Anliegen. Geduldig erklärte ich ihm, weshalb ich wagte, ihn am Wochenende zu belästigen, erzählte von Hörrles Geiselnahme und der damit verbundenen Lebensgefahr für unzählige hilflose Personen, nannte ihm die Nummer der Polizeidirektion, wo man jederzeit meine Identität bestätigen würde. Als er zurückrief, war er ein wenig gesprächiger, aber dennoch musste ich ihm jede Antwort mundgerecht vorkauen. So viel zog ich ihm immerhin aus der Nase: Vitus Hörrle war nicht entlassen worden, weil er einer Frau zu nahe gekommen war. Deshalb wurde er damals lediglich verwarnt. Sein wirkliches Vergehen war der Verrat von Dienstgeheimnissen. Technischen Dienstgeheimnissen. Hoch geheimen Geheimnissen. Ja, es ging irgendwie um Elektronik. Und ja, es hatte mit Abhörtechnik zu tun. Nein, nicht mit Empfängern und Richtantennen und dergleichen. Und dann, endlich, hörte ich das Wort, auf das ich die ganze Zeit gewartet hatte: Dechiffriergeräte. Auf meine letzten Fragen erhielt ich keine Antworten mehr. Aber ich wusste genug.
Hauptmann Vitus Hörrle hatte Schaltpläne eines digitalen NATO-Entschlüsselungsgeräts der neuesten Generation mit nach Hause genommen und dort vermutlich kopiert. Letzteres hatte man ihm nicht nachweisen können, aber allein die Tatsache, dass er die Unterlagen aus dem militärischen Sicherheitsbereich gebracht hatte, reichte aus, ihn umgehend in die Heimat zu
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