Heidelberger Lügen
mehr«, maulten sie beleidigt.
Es gibt eine Formulierung, die ich niemals im Leben aussprechen wollte: »Solange ihr eure Füße unter meinen Tisch streckt …« Deshalb formulierte ich ein wenig um: »Solange ich hier noch irgendwas zu melden habe, werdet ihr nicht in Sachen rumlaufen, auf denen ›I fuck on the first date‹ steht. Haben wir uns verstanden?«
Ihr Abgang war dramatisch und gekonnt. Beunruhigenderweise meinte ich etwas zu hören wie: »Aber mit verheirateten Frauen …«
Mir wurde bewusst, dass ich seit Neuestem erpressbar war.
Um zehn Minuten nach drei klingelte endlich das Telefon. Ein Herr Vöhringer meldete sich mit dröhnender Stimme. Ein höherer Beamter beim Finanzamt.
»Legal ist das aber nicht, was Sie von mir verlangen!«
»Ich verlange nichts von Ihnen. Ich bitte Sie nur um einen Gefallen. Gut möglich, dass Sie helfen können, einen Mord zu verhindern.«
Die letzten Worte waren mir ohne nachzudenken herausgerutscht. Aber noch während ich sprach, wurde mir klar, dass das nicht von der Hand zu weisen war. Wenn ich mich nicht sehr irrte, dann plante Hörrle etwas, was in irgendeiner Weise mit Kriegels Firma und einem Aktenkoffer voller Dollars zusammenhing. Etwas, das schon zwei Menschen das Leben gekostet hatte.
»Hallo? Sind Sie noch da?«, rief Vöhringer. Ich nahm den Hörer ein wenig vom Ohr.
»Wann und wo können wir uns treffen? Sie möchten das vermutlich nicht per Telefon erledigen.«
»Ha!« Er lachte begeistert. »Da haben Sie Recht!«
Wir verabredeten uns auf halb vier auf dem Parkplatz des Baumarkts gegenüber dem Finanzamt. Ich wusste nicht, wie er aussah, aber ich würde ihn problemlos an seiner Stimme erkennen.
Noch während wir telefonierten, war mir etwas in den Kopf geschossen. Nur eine winzige Idee erst, die Ahnung eines Gedankens. Ich hielt den tutenden Hörer noch in der Hand. Das Geld. Der Geldkoffer. Natürlich! Wie hatte ich daran nicht denken können! Auf einmal war alles völlig logisch. Mit feuchten Fingern wählte ich Lorenzos Nummer. Er brummelte ein wenig, weil ich ihn bei seiner überlebenswichtigen Siesta störte. Aber er hörte mir zu.
»Jetzt, wo du es sagst, ja, ich erinnere mich«, sagte er langsam. »Es war reichlich spät, als er den Koffer brachte.«
»Wie spät ungefähr?«
»Lass mich nachdenken.« Im Hintergrund hörte ich ein Cello. Maria übte für ihren Auftritt heute Abend. Es dauerte, bis Lorenzo langsam weitersprach.
»Etwa um halb elf muss das gewesen sein. Als dieses Gewitter begann, wurde ich nach oben gerufen. Ein Gast bekam sein Fenster nicht zu, und es regnete herein. Ich bat eines der Mädchen aus dem Restaurant, mich kurz zu vertreten. Aber ich war höchstens zehn Minuten fort.«
»Und anschließend stand er da?«
»Richtig. Sie hatte ein Anhängerchen daran befestigt und Namen und Zimmernummer darauf geschrieben. Kriegel. Ich habe ihn in den Aufbewahrungsraum gestellt und im folgenden Durcheinander sofort vergessen.«
Ich musste mich setzen. Dass Kriegel den Koffer erst so spät zur Rezeption brachte, konnte nur eines bedeuten: Es war genau umgekehrt, als ich bisher vermutet hatte: Er hatte ihn nicht mitgebracht, um ihn Diana Gold-Fehrenbach zu übergeben, sondern erst im Lauf des Abends von ihr erhalten. Als Gegenleistung für etwas, das einen solchen Wert darstellte, dass sie anschließend von ihrem Honorar ein neues Leben beginnen konnte. Vielleicht zur Sicherheit hatte er ihn an der Rezeption abgegeben und einschließen lassen. Warum? Sollte es einen bestimmten Grund gegeben haben für diese Vorsicht?
Fast wurde mir schwindlig von dem Tempo, mit dem plötzlich die Ideen auf mich einstürzten. Zusammen mit McFerrin hatte Kriegel eine Erfindung gemacht, von der sie sich die Rettung der maroden Firma versprachen. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln hatten sie sich auf dieses Projekt konzentriert. Aber am Ende war es schief gegangen, die Secusoft wurde zahlungsunfähig, und alle Beteiligten standen auf der Straße, Kriegel noch dazu mit einem Berg Schulden. Entweder waren sie an unlösbaren technischen Problemen gescheitert, oder aber es hatte sich kein Interessent für die Erfindung gefunden. Ich tippte auf die zweite Erklärung. Jahre später fand Kriegel dann überraschend doch einen Käufer. Dieser ließ sich von Diana Gold-Fehrenbach vertreten und war bereit gewesen, eine Summe zu bezahlen, von der Kriegels Dollars sicherlich nur ein kleiner Anteil waren.
Vermutlich hatte McFerrin von dieser neuen
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