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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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erkunden. Auf dem Wilhelmsplatz war montags und donnerstags ein kleiner Markt, wo man ordentliches Gemüse direkt beim Erzeuger kaufen konnte, erfuhr ich am Kiosk an der Ecke bei einer großen Apfelsaftschorle und hörte auch gleich, welcher Bäcker im Viertel empfehlenswert war und welcher eher nicht. Kioskbetreiberinnen wissen alles, hören vieles und sehen naturgemäß eine Menge, weil sie den ganzen Tag beim Warten auf Kundschaft aus dem Fenster gucken.
    Und die herzerwärmend strahlende und kugelrunde Frau in fast sauberer Kittelschürze erfuhr natürlich unweigerlich auch eine Menge über mich.
    »Kripo, sagen Sie? Das ist ja kolossal!«
    Ich konnte ihr ansehen, wie sie in Gedanken schon die Machtverhältnisse im Viertel neu sortierte.
    »Da könnten Sie doch gleich mal was gegen diese Motorradfahrer unternehmen, die sich hier in letzter Zeit rumdrücken und mir die Kundschaft vergraulen?«
    Bisher sei es zwar nicht zu Ausschreitungen gekommen, hörte ich, aber damit sei praktisch täglich zu rechnen.
    »Wie das Lumpenpack schon aussieht! Diese komischen Haare zum Beispiel, und alle in Lederzeug, bei dieser Hitze! Und dann diese … diese ekligen Anstecker im Gesicht … Also ehrlich, wenn mir meine Nathalie so einen heimbrächte, der würd ich aber den Marsch blasen!«
    Ich versprach, mich um den Fall zu kümmern. Daraufhin räumte sie mir endgültig einen Ehrenplatz in ihrem großen Herzen frei und bestand darauf, mir eine zweite Schorle umsonst zu servieren. Erfreut beobachtete ich, dass sie naturtrüben, ungezuckerten Apfelsaft dafür verwendete und ein fast stilles Wasser. Ich erfuhr, dass sie mit Nachnamen Brenneisen hieß, seit ihrer Kindheit hier um die Ecke wohnte, seit neunzehn Jahren den Kiosk betrieb, der in dieser langen Zeit nur zwölf Tage geschlossen hatte, dass ihr Mann viel zu früh an Krebs gestorben war, und dass sie eine zum Glück überaus gut geratene Tochter hatte, deren Namen ich schon kannte.
    Dann fing sie wieder von den Kerlen mit den Motorrädern an. Ich hörte nicht mehr richtig zu, sondern genoss die Abendsonne, die ruhige Stimmung. Plötzlich wusste ich: Hier war ich richtig. Hier wollte ich heimisch werden. Zur Polizeidirektion würde ich, so oft es das Wetter erlaubte, mit dem Rad fahren. Schon, weil man in der Heidelberger Weststadt einen einmal eroberten Parkplatz nicht ohne Not aufgibt, wie ich inzwischen erkannt hatte.
    Ich würde auch endlich wieder regelmäßig laufen. Hundert Meter östlich von hier begann schon der Wald, wo es bestimmt schöne Wege gab. Vor fünfzehn Jahren war ich noch ein ganz brauchbarer Langstreckenläufer gewesen. Einmal hätte ich sogar um ein Haar an einem Marathon teilgenommen, wenn nicht im letzten Moment irgendwas dazwischen gekommen wäre. Auch Schach würde ich natürlich wieder spielen. Und zwar mit Menschen und nicht mit meinem humorlosen Computer, der immer nur gewann und sich nicht einmal darüber freute.
    Frau Brenneisen plapperte immer noch vor sich hin, während sie in ihrem Kiosk herumräumte.
    »Der eine, den nenn ich schon immer den Kettenmann. Der hat nämlich immer so Ketten, hier und da. Und dann mitten im Sommer diese schweren Lederjacken, dass die sich nicht tot schwitzen! Möchte ja nicht wissen, wie die stinken.«
    Akribisch beschrieb sie mir die Frisuren der Burschen. Beim Wort »Leopardenfell« fuhr ich herum. Ich ließ mir den Mann beschreiben, dessen Haare wie das Fell einer Raubkatze aussahen. Frau Brenneisen erwies sich als vorzügliche Beobachterin.
    »Und wann kommen die immer, sagen Sie?«
    »Praktisch jeden Abend, so um acht, halb neun. Je nachdem. Der mit dem Leopardenkopf, der ist aber die letzten Tage nicht mehr dabei gewesen.«
    »Seit wann genau?«
    Sie legte ihren Lappen weg und zog die Stirn kraus. »Seit letzten Mittwoch sind sie nur noch zu dritt. Da hab ich zu meiner Nathalie noch gesagt, wenn jetzt jeden Tag einer weniger kommt, dann sind sie bis Sonntag alle weg.« Sie lachte. »Und Sie unternehmen jetzt wirklich was gegen die?«
    »Bin schon dabei.« Ich zückte mein Handy.
    Während ich die Nummer der Polizeidirektion wählte, hoffte ich, dass noch jemand im Büro war und dass dieser Jemand nicht Klara Vangelis sein möge. Es war noch jemand da. Und natürlich war es Vangelis. Schon eine Viertelstunde später war sie da. Wir verabredeten, dass sie den Kiosk von Osten her im Auge behalten würde und ich von Westen.
     
    »Wir unternehmen vorläufig nichts. Wir behalten sie nur im Auge. Vielleicht haben

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