Heidelberger Wut
was sie mir anvertraute. »Okay, er quatscht nicht viel. Aber seine Augen – der ist schon in Ordnung. Und mir ist er allemal lieber als die Omas, die einen eine Viertelstunde lang volltexten, bis sie ihr Achtel Lyoner und bisschen Hackfleisch gekauft haben.«
Sie strahlte mich an und ließ mich ihr Zungen-Piercing bestaunen. Ich wunderte mich, wie problemlos sie damit sprechen konnte. Am Ende meines Spontaneinkaufs enthielt mein Korb ungefähr dasselbe, was auch Xaver Seligmann vor ziemlich genau sieben Tagen erstanden hatte. Nur die Mengen waren größer, und hinzu kamen einige Fertiggerichte, die meine Töchter in die Mikrowelle werfen konnten, wenn sie sich nach der Schule mal wieder selbst verköstigen mussten. Und an Stelle des Trollingers hatte ich drei Flaschen sizilianischen Nero d’Avola gewählt.
»Der Kurier«, brummelte Herr Widmer, als er meine EC-Karte mit Schwung durchs Lesegerät zog. »Meistens hat er montags den Kurier gekauft. Und am Donnerstag die Zeit.«
»Am Donnerstag?«, fragte ich. »War er da noch mal hier?«
»Nein, war er nicht«, versetzte mein Gesprächspartner, als wäre meine Frage eine Zumutung. »Und ich hab mir gedacht, hat ihn am Ende doch die Grippe erwischt.«
Als ich kurz vor Mittag in die Direktion zurückkehrte, saß zu meiner Überraschung meine Sekretärin an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer. Sonja Walldorf, die auf der Anrede »Sönnchen« bestand, seit ich sie kannte, sah bemitleidenswert aus. Die Nase lief, die Augen tränten, aber sie wollte nichts hören von Bettruhe, Aspirin und Kamillentee.
»Ich bin noch nie krank gewesen und hab nicht vor, ausgerechnet jetzt damit anzufangen«, erklärte sie kategorisch.
»Sie sehen wirklich schlimm aus, Sönnchen. Und Sie werden mir außerdem die halbe Truppe anstecken. Und drittens waren Sie erst Ende April drei Tage krank, als Sie sich beim Tennis den Knöchel verrenkt hatten.«
»Knöchel verrenkt ist ja keine Krankheit, sondern ein Unfall.«
Die Logik der Frauen ist für einen Mann nicht immer leicht verständlich.
Ich stellte meine Tüten auf einen Stuhl und bat meine tapfere Sekretärin, die verderblichen Sachen bis zum Abend in einem Kühlschrank zu verstauen.
»Auf Ihrem Schreibtisch liegt übrigens ein Fax«, schniefte sie und nieste zweimal herzhaft. »Ich glaub, es ist ziemlich wichtig.«
Hoffentlich steckte sie mich nicht auch noch an. Ein Schnupfen war das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte.
Das Fax war sogar äußerst wichtig, wie ich auf den ersten Blick sah, obwohl der Spanier, der es geschrieben hatte, ein wirklich originelles Englisch gebrauchte. Bonnie and Clyde waren entwischt. Offenbar hatten die beiden bemerkt, dass sie beschattet wurden. Irgendwann war es den Beamten der Guardia Civil, die das Hotel observierten, merkwürdig vorgekommen, dass man die beiden überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekam. Stunden, einen halben Tag, einen ganzen schließlich. Aber erst, als ein in der Nähe geparkter Mercedes vermisst wurde und ein Augenzeuge eine recht gute Beschreibung des Pärchens gab, das mit dem Wagen davongebraust war, wurde den südspanischen Kollegen klar, dass ihnen einen böser Fehler unterlaufen war.
Das Hotelzimmer hatten sie heute Vormittag verlassen gefunden, die Rechnung war unbezahlt, der Saab stand einsam auf dem Parkplatz wie seit Tagen schon, und Bonnie and Clyde waren samt ihrer Beute spurlos verschwunden. Und hatten mindestens vierundzwanzig Stunden Vorsprung.
»Bockmist, verfluchter!« Balke schlug sich mit beiden Händen auf die Knie. »Und wir waren so nah dran!«
Vangelis’ Reaktion beschränkte sich auf ein kurzes Schnauben und das Hochziehen der rechten Augenbraue.
»Immerhin haben die Spanier unter dem Beifahrersitz des Saab ein Handy gefunden«, sagte ich. »Das könnte uns ein Stück weiter bringen, wenn wir Glück haben.« Ich wandte mich an Balke. »Sie lassen sich bitte die Nummer durchgeben, sobald die Spanier die Karte geknackt haben.«
Er nickte. »Würde mich auch mächtig interessieren, mit wem die zwei in letzter Zeit so telefoniert haben.«
»Sie denken an die Theorie mit dem unbekannten Dritten?«
»Woher wussten die zwei, dass ausgerechnet am Tag des Überfalls so viel Geld im Tresor war?«, fragte Balke zurück. »Es muss einen Informanten gegeben haben.«
Im Vorzimmer nieste Sönnchen wie zur Bestätigung drei Mal hintereinander.
»Sven hat Recht«, meinte Vangelis. »Und eines geht mir in diesem Zusammenhang seit heute Vormittag nicht
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