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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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Puppenstubenidyll zu betreten. Alles war hier so hübsch und niedlich, dass ich am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Die Wohnung roch wie mein Vorzimmer: nach Kamille und Eukalyptus.
    »Schön haben Sie es hier«, sagte ich, als wir Platz nahmen.
    »Mögen Sie einen Tee?«
    »Gerne«, erwiderte Sven Balke strahlend, der, obwohl nicht aus Ostfriesland, wie er immer wieder betonte, Tee über alles liebte. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Frau. Sie verschwand in der Küche, um dort leise herumzuklappern. Wasser rauschte. Porzellan klirrte.
    »Für mich bitte auch eine Tasse«, rief ich ergeben. Oft ist es gut, von Zeugen etwas anzunehmen, weil das Vertrauen schafft, weil sie einen dann als Gast betrachten und nicht mehr als Eindringling. Zur Not auch, wenn es einem nicht schmeckt. Hoffentlich hatte sie wenigstens Zucker im Haus.
    Balke summte vor sich hin und zupfte Hautfetzen von seinen Nagelrändern. Ich betrachtete die mit Nippes überladene Einrichtung. In der Küche begann ein Wasserkessel zu pfeifen, ein Geräusch, das ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört hatte. Dann trat Monika Eichner durch die Tür und balancierte dabei ein Tablett mit einer chinesischen, mit blassblauen Drachen bemalten Teekanne und dazu passenden, nahezu durchsichtigen Trinkschälchen. Alles natürlich äußerst entzückend. Sie schenkte ein, Balke nahm vergnügt drei Stücke vom braunen Kandis, wir nippten an dem brühheißen Tee. Dabei seufzte er behaglich, und ich konnte nicht begreifen, weshalb. Für mich schmeckte Schwarztee immer schon nach aufgekochtem Stroh.
    »Lange nicht gehabt, so einen guten Assam«, schwärmte Balke, und sie lächelte ihn dankbar an. Ich beschloss, die weitere Führung des Gesprächs meinem Untergebenen zu überlassen.
    Monika Eichner putzte sich lautlos die Nase. »Morgen haben wir Sommeranfang, und alle Welt ist erkältet!«, schniefte sie. »Dabei hab ich Urlaub und wollte ein bisschen verreisen. Und jetzt sitz ich hier und hab Fieber und ärgere mich den lieben, langen Tag.«
    »Meine Sekretärin hat’s auch erwischt«, seufzte ich so mitfühlend, wie es meine miserable Laune erlaubte.
    »Sie waren also mal mit Herrn Seligmann verheiratet.« Unerschütterlich freundlich kam Balke zur Sache. »Wären Sie so nett, uns ein wenig von ihm zu erzählen?«
    »Worum geht’s denn überhaupt?«, fragte sie zurück und zupfte am Bund ihrer längst zu eng gewordenen Jeans herum. »Wieso interessiert sich denn die Polizei für ihn?«
    Balke berichtete vom plötzlichen Verschwinden ihres ehemaligen Mannes, vom Blut, das wir in seinem Haus gefunden hatten. Unseren Verdacht wegen des Bankraubs verschwieg er. Ich hätte es ebenso gemacht.
    »Verschwunden?« Sie riss die geröteten Augen auf. »Und jetzt wollen Sie von mir hören, wo Sie ihn finden?«
    »Es reicht uns schon, wenn Sie ein wenig von ihm erzählen. Was ist er für ein Mensch? Was sind seine Vorlieben, was hasst er? Wohin würde er fahren, wenn er sich verstecken müsste?«
    Der Tee schmeckte doch nicht nur nach Stroh. Schluck für Schluck mochte ich das dunkle, süße Gebräu mehr. Mit einem winzigen Lächeln schenkte mir Frau Eichner in dem Augenblick nach, als ich die leere Tasse abstellte. Dann sah sie Balke mit plötzlich kühlem Blick an.
    »Wie Xaver ist, wollen Sie wissen? In einem Wort: langweilig. Ganz schrecklich langweilig ist er. Und wahnsinnig pingelig kann er sein, das noch dazu. Und auf der anderen Seite dann wieder der größte Chaot unter der Sonne.«
    »Ist das ein Scheidungsgrund?«, fragte Balke.
    »Natürlich nicht.« Aus irgendeinem Grund errötete sie bei diesen Worten, schlug die Augen nieder, rührte in ihrem Tee. Dann sah sie auf. Die Erinnerung hatte sie wütend gemacht.
    »Xaver – er war ein Irrtum. Mein Irrtum. Wie das so ist, ich war fast vierzig, einsam, dachte, das war’s dann wohl zum Thema Ehe, Kinder und so. Und da kommt er daher, ein bisschen langsam, ein bisschen verschlossen. Aber er ist stark. Und vor allem, er ist da. Er gibt einem Ruhe, man versteht sich, man kann sich unterhalten, über Kunst, Musik, all so was. Manches mag man nicht so an ihm, merkt man mit der Zeit, aber man denkt, das wird sich geben, er wird sich ändern, man wird sich aneinander gewöhnen. Ein wenig wird man ihn auch zurechtrücken. Man hat ja schließlich auch seine Macken, wer hat die nicht. Aber dann sieht man: er ändert sich kein bisschen. Ein Mensch in diesem Alter ändert sich nicht mehr so leicht. Im Gegenteil, alte

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