Heidelberger Wut
der Welt umgesehen. Natürlich nicht mit Interrail-Pass und Rucksack, sondern mit Kreditkarten und First-Class-Tickets. Vielleicht hätte Kräuter als Professor Karriere gemacht, vielleicht hätte Jannine irgendwann einen Millionär geheiratet und ein angenehm langweiliges Leben an einer der schönen Küsten dieser Welt geführt. Vielleicht wären die beiden trotz aller Klassenunterschiede miteinander glücklich geworden. Vielleicht hätten sie irgendwann inmitten einer Schar wuseliger Enkelchen Silberhochzeit gefeiert. So viele Möglichkeiten, so viele Chancen. Und nun also das.
»War eigentlich einer von den beiden schon mal in Heidelberg?«
»Soweit wir wissen, nicht«, antwortete Vangelis. »Wir haben bisher keinerlei Verbindung zwischen den Brauns und Kräuter oder seiner Jannine entdecken können.«
»Haben Sie in Seligmanns Haus irgendwas von Interesse gefunden?«
Obwohl uns kein Durchsuchungsbefehl vorlag, hatte ich Anweisung gegeben, sein Haus auf den Kopf zu stellen auf der Suche nach Geld aus der Beute, verräterischen Notizen, irgendetwas, was unseren Verdacht erhärtete.
Vangelis schüttelte den Kopf. »Ich habe es vom Keller bis zum Dachboden durchsuchen lassen. Aber wir haben nichts gefunden, was uns weiterbringen würde.«
Balke hatte noch etwas auf dem Herzen.
»Dieses Handy, das die Spanier in dem Saab gefunden haben, das könnte ein Knaller werden. Ich habe inzwischen die Nummer. Sie gehört zu einer Prepaid-Karte, die auf eine Aachener Studentin läuft. Natürlich weiß sie von nichts. Das Handy sei ihr irgendwann in einer Kneipe geklaut worden, behauptet sie, und wir werden ihr kaum das Gegenteil beweisen können. Ich habe heute Morgen gleich vom Provider alle Nummern angefordert, mit denen Bonnie and Clyde in letzter Zeit telefoniert haben.« Zufrieden lehnte er sich zurück. »Und außerdem hab ich Seligmanns ehemalige Frau aufgetrieben. Sie wohnt in Ladenburg.«
Nebenbei inspizierte ich wieder einmal Liebekinds Terminkalender. Aber noch immer hatte er nicht vor, am kommenden Wochenende zu verreisen. Außerdem keine Mail von Theresa. Auch von meinen Töchtern hatte ich noch nichts gehört, obwohl sie schon seit vier Stunden unterwegs waren. Sonst schrieben sie ununterbrochen wegen Nichtigkeiten SMS an alle Welt. Aber mich hielten sie offenbar nicht für wichtig genug.
»Sollten wir nicht mal ein paar Takte mit der Frau reden?«, schlug Balke vor, da ich nicht reagierte.
»Hm«, brummte ich und nahm meinen Blick von meinem Laptop. »Das sollten wir wohl.«
»Soll ich sie herzitieren? Sie ist zu Hause und hat Schnupfen.«
»Nein«, entschied ich nach kurzem Überlegen. »Wir fahren hin.«
»Mich brauchen Sie ja wohl nicht dabei«, meinte Vangelis. »Ich habe nämlich gleich noch einen privaten Termin.«
Ihre Miene stellte klar, dass der Anlass dieses Termins mich nicht zu interessieren hatte.
Balke fand einen nicht ganz legalen Parkplatz vor dem kleinen Café am Ladenburger Marktplatz und warf sicherheitshalber das »Polizei«-Schild auf das Armaturenbrett unseres BMW. Als wir ausstiegen, wehte uns Blumenduft entgegen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass herrlichstes Sommerwetter war und man eigentlich gute Laune haben sollte. Prächtige alte Fachwerkhäuser umgaben uns, die Kirchturmuhr schlug elf, auf dem Platz herrschte buntes Treiben.
Monika Eichner wohnte nur wenige Schritte entfernt in einem sehenswerten alten Haus in der Neugasse. Die liebevoll restaurierte Fassade war mit üppigen Kletterrosen bewachsen, die blühten, als hätte der Heimatverein einen Preis dafür ausgelobt.
»Wegen Xaver kommen Sie?«, begrüßte uns Seligmanns geschiedene Frau mit trauriger Miene und wegen ihrer Erkältung krächzender Stimme. »Wieso Polizei? Ist ihm was passiert?«
Sie zählte zu den Frauen, die sich im Lauf der Zeit damit abgefunden haben, auf einer Party niemals die Schönste zu sein. In ihrem Blick lag eine schlecht verborgene Hoffnungslosigkeit, das Wissen darum, dass sie vom Leben nicht viel zu erwarten hatte und das meiste, vor allem der erfreuliche Teil, hinter ihr lag. Ihre Hand fühlte sich heiß und trocken an. Das strähnige, weißblonde Haar sehnte sich nach Shampoo. Wer wäscht schon gerne Haare, wenn er erkältet ist.
»Kommen Sie rein«, sagte sie. »Wir müssen das ja nicht auf der Treppe besprechen.«
Sie führte uns in ein kleines Zimmer mit niedrigen, weiß gestrichenen Sprossenfenstern zur Straße. Die Sonne schien herein, und man glaubte, ein
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