Heidelberger Wut
sie wich mir aus. Sie fiel in eines der Sesselchen und steckte sich eine Zigarette an. »Vielleicht bin ich einfach nicht in der Stimmung.«
»Die Hormone«, seufzte ich und setzte mich aufs Bett. »Wenn Frauen komisch sind, dann sind es immer die Hormone.«
»Vielleicht«, sie schlug die Augen nieder. »Erzähl mir etwas, das mich aufheitert.«
Ich ging in die winzige Küche und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Die Gläser von Dienstag waren noch nicht gespült. Der Mülleimer stank nach alten Zigarettenkippen. Plötzlich war ich wütend, ohne zu wissen, auf wen. Und deprimiert, ohne zu wissen, weshalb.
Als ich ins Zimmer zurückkam, sah Theresa mit mattem Blick zur Decke.
»Willst du Schluss machen?«, fragte ich mit einem unerwartet dicken Kloß im Hals. »Ist es das?«
»Unsinn«, erwiderte sie müde. »Es ist einfach nicht mein Tag.«
»Vermutlich hat dich dein Besuch völlig überfordert. Wahrscheinlich habt ihr die Nächte durchgequatscht.«
Theresa lächelte nicht einmal. Ich füllte die schlanken Gläser nur zur Hälfte. Wir stießen nicht an und tranken schweigend. Der Weingartener Riesling, den ich selbst besorgt hatte, schmeckte heute schauderhaft.
»Ich weiß nichts Lustiges«, sagte ich schließlich. Stattdessen erzählte ich ihr von Bonnie and Clyde.
»Das arme Mädchen«, meinte sie am Ende, ohne mich anzusehen.
»Sie ist volljährig. Sie weiß, was sie tut.«
»Sie liebt diesen Kerl. Und Liebe kann nun mal eine schreckliche Krankheit sein.«
Sie erhob sich, setzte sich neben mich aufs Bett, fiel mir um den Hals und begann zu weinen. Ich strich ihr über das volle, dunkelblonde Haar, das manchmal, nur in gewissem Licht, rötlich schimmerte, und wusste wie üblich nicht, was ich sagen sollte. Ich hasse es, wenn Frauen weinen.
Später saßen wir zusammen und redeten. Über Liebe und Ehe und Treue und das Gegenteil davon.
»Ich weiß nicht«, murmelte sie und griff zaghaft nach meiner Hand. »Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Bist du jetzt böse?«
Ich küsste sie auf die Augen. Auf einmal war mir, als könnte auch ich losweinen, und ich hätte beim besten Willen nicht sagen können, weshalb.
»Ich muss los«, sagte sie irgendwann leise. »Tut mir leid.«
Es war kurz vor zehn. Wir hatten fast drei Stunden lang nur geredet.
Als ich nach Neckarhausen hinausfuhr, war ich in einer seltsamen Stimmung zwischen Glück und Traurigkeit, Abschied und neuem Anfang. Was sollte aus unserem Wochenende werden? Würde sie kommen? Meine Töchter an der Nordsee, meine Geliebte an der Seite ihres Gatten und ich allein in einer viel zu großen Wohnung? Wenn das so weiterging, würde ich noch zum Marathonläufer mutieren. Nur solange man nicht allein ist, erscheint einem die Einsamkeit erstrebenswert. Ist sie einmal da, entpuppt sie sich meist als die hässliche Schwester der Langeweile.
»Seit einer halben Stunde sind sie in ihrem Zelt«, erklärte mir Vangelis nervös. »Vorher haben sie alles andere ins Auto gepackt. Vermutlich haben sie wirklich vor, morgen früh abzureisen.«
»Denken Sie immer noch, die beiden haben bemerkt, dass sie beobachtet werden? Wenn es so wäre, dann hätten sie doch längst versucht zu türmen.«
»Die sind nicht dumm. Und ich kann mir nicht helfen, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«
Gefühle waren normalerweise nicht Vangelis’ Spezialität.
Auf dem träge dahinströmenden Neckar spiegelten sich die Lichter der am anderen Ufer liegenden Häuser. Am Ufer vertäute Boote schaukelten leise, als würden sie sich selbst in den Schlaf wiegen. Irgendwo im Dunkeln schlug eine Kirchturmuhr. Wir standen auf einem spärlich beleuchteten kleinen Parkplatz am Eingang des Campingplatzes, von wo aus Bonnie and Clyde uns unmöglich sehen konnten. Auf den nahen Eisenbahngleisen, einige Meter über uns und jenseits der ebenfalls erhöht liegenden Bundesstraße, rumpelte ein Güterzug in Richtung Heidelberg. Dann war es wieder so still, dass man das Rauschen des Flusses hörte. Vielleicht war es auch der Nachtwind in den Bäumen.
»Die Kollegen mit dem Zelt?«
»Habe ich vorsichtshalber zurückgezogen. Wir sehen im Augenblick nichts und wir hören nichts von den beiden. Ich habe nur noch einen Mann mit Nachtsichtgerät dort drüben.« Sie wies ans andere Ufer. »Aber jetzt kommt zu allem Unglück auch noch Nebel auf.«
Inzwischen war es kühl geworden, und jetzt sah auch ich die weißen Schwaden vom Fluss her auf uns zukriechen.
»Ich denke,
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