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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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können? Hinhalten, zermürben? Bis sie aufgibt?«
    »Chef«, sagte er sehr müde, »ihr Lover lag neben ihr mit einer Kugel im Kopf. Sie hätte niemals aufgegeben.«
    Langsam drückte ich den roten Knopf.
    Natürlich hatte Balke Recht. Wir konnten nichts dafür. Niemand konnte etwas dafür.
    Dennoch fühlte ich mich sehr, sehr einsam. Die Wohnung war still, und erst nach Minuten wurde mir klar, dass meine Töchter auf Klassenfahrt waren, dass ich in der Küche heute Morgen niemanden antreffen würde. Wie hatte ich mich gefreut auf die Zeit ohne sie.
    Auch nach dem Duschen war mir immer noch schlecht. Mechanisch zog ich die Sachen an, die ich verstreut neben dem Bett fand. Mechanisch fuhr ich ins Büro, fand zum Glück einen Parkplatz, der nicht viel Geschick und Konzentration erforderte. Sönnchen wusste natürlich schon Bescheid und begrüßte mich mit einer Miene, als wäre meine halbe Familie gestorben.
    Man muss sich als Polizist, auch als Kripochef, nicht oft schuldig fühlen am Tod zweier Menschen. Die meisten Polizisten ziehen ihre Waffen im Lauf ihres Berufslebens niemals mit der Absicht zu schießen. Die meisten haben das Glück, sie überhaupt nie ziehen zu müssen mit einer anderen Absicht als der, sie wegzuschließen und Feierabend zu machen. Und nun eine solche sinnlose Metzelei. Auch wenn die beiden ein Verbrechen begangen hatten, eine große, eine übergroße Dummheit, den Tod hatten sie nicht verdient. Den Tod hatte niemand verdient.
    Ich hoffte, dass Sönnchen mit dem Kaffee ein paar Minuten brauchen würde. Dass ich noch ein bisschen Ruhe hätte. Aber mein Wunsch erfüllte sich nicht. Manchmal sehnte ich mich nach unserer alten, langsamen, gemütlich vor sich hinblubbernden Maschine, auch wenn die moderne natürlich den entschieden besseren Kaffee machte. Manchmal wünschte ich mich viele Jahre zurück, in die Zeit, als alles noch ein wenig länger dauerte, als man Zeit noch in Stunden und Tagen maß und nicht in Minuten. Als man nicht jeden Menschen überall auf der Welt innerhalb von Sekunden per Handy erreichen konnte. Als man am Tag zehn Briefe beantwortete und nicht zwanzig E-Mails in der Stunde. Damals wären Bonnie and Clyde vielleicht entkommen. Damals hätten sie überlebt. Vielleicht.
    Ich glaube, an diesem Morgen fühlte ich mich zum ersten Mal wirklich alt.
     
    »Und was ist mit dem Geld?«, fragte ich, als wir kurz nach neun in meinem Büro zusammensaßen. Ich war müde und frustriert und vor allem wütend. Ja, wütend. Das Schlimmste war diese Wut, die kein Ziel hatte. Niemandem war ein Vorwurf zu machen. Alle hatten alles richtig gemacht. Und dennoch war es schiefgegangen.
    Vor mir dampfte schon das zweite Kännchen Kaffee. Die Croissants hatte ich noch nicht angerührt, aber ich fühlte mich ein wenig besser. Es half ja nichts. Die Show musste weitergehen.
    »Also, wie kommt die Beute in den Kofferraum?«
    »Ich nehme an, sie haben das Geld im Lauf der Nacht aus einem Versteck geholt«, erwiderte Vangelis, die schon wieder so frisch aussah, als hätte sie zehn Stunden geschlafen und nicht zwei. »Unsere Leute haben Erdspuren daran gefunden. Vermutlich hatten sie es also irgendwo vergraben. Das eigentlich Interessante ist: bis auf ungefähr achttausend Euro haben wir exakt die Hälfte gefunden.«
    Uns allen war klar, wo die restlichen siebenhundertfünfzigtausend zu finden waren – bei unserem Unbekannten, dem dritten Mann.
     
    Da auf der Straße nichts frei war, fuhr ich auf den Hof und stellte meinen inzwischen fünfzehn Jahre alten Peugeot Kombi auf dem kleinen Parkplatz der Eppelheimer Sparkasse neben einem offensichtlich neuen, feuerwehrroten Porsche ab.
    »Da wird die Versicherung aber jubeln«, meinte Heribert Braun ohne Enthusiasmus, als er hörte, dass ein Teil der Beute wiederaufgetaucht war. »Und schön, dass Sie die Lumpen geschnappt haben.«
    In seinem Aschenbecher lagen schon fünf zerkaute Zahnstocher. Auch er schien heute keinen guten Tag zu haben.
    »Geschnappt ist nicht das richtige Wort. Die beiden sind tot.«
    »Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um«, meinte er achselzuckend. »Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich Mitleid heuchle. Die beiden Seelchen haben mir und meiner armen Frau verdammt übel mitgespielt. Und die wussten sehr genau, was sie taten und wozu sie es taten. Denen ging’s um Geld, und Menschenleben haben in ihrer Kalkulation keine Rolle gespielt. Wenn es darauf angekommen wäre, hätten die mich oder meine Frau ohne Zögern abgeknallt.

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