Heidelberger Wut
»Wir haben uns ein wenig Sorgen um Sie gemacht.«
»Das war nicht nötig«, erwiderte er so langsam, als wäre er vor irgendetwas auf der Hut. »Ich kann ganz gut auf mich aufpassen.«
»Wo haben Sie denn gesteckt, wenn man fragen darf?«
»Fragen darf man alles.«
Ich war auf dieses Gespräch nicht vorbereitet. Mein Kopf war noch nicht im Dienst, und Vangelis machte nicht den Eindruck, als wollte sie für mich einspringen. So lavierte ich herum. Versuchte, erst einmal einen Kontakt zu dem Mann zu finden. Aber es gelang mir nicht. Er roch muffig und säuerlich nach ungewaschenem Hemd und altem Zigarettenrauch. Und ja, ich mochte ihn nicht.
Sein rechtes Handgelenk verunstaltete ein schon ziemlich angegrauter und ohne Geschick angelegter Verband.
»Sie sind Linkshänder?«, fragte ich überflüssigerweise, denn er hielt ja seine Zigarette in der Linken.
»Wollten Sie deshalb mit mir reden?«
Seligmanns Blick hatte etwas Lauerndes. Es lag weder Sympathie darin, noch das Gegenteil. Es lag eigentlich gar nichts darin. Eine seiner Schlangen hatte mich bei meinem letzten Besuch in diesem finsteren, deprimierenden Haus ebenso angesehen, erinnerte ich mich. In der Nähe wurde ein Motorrad angelassen und entfernte sich dann rasch. Vermutlich David Braun auf dem Weg in die Universität.
»Dürften wir erfahren, warum Sie so plötzlich verreist sind, Herr Seligmann?«
Ein winziges, verächtliches Lächeln zuckte um seinen rechten Mundwinkel. Der Blick blieb kalt. »Ich denke nicht, dass Sie das was angeht, Herr Gerlach.«
Ich lächelte nicht weniger kalt zurück. »Aber es würde die Sache sehr vereinfachen, wenn Sie ein wenig kooperativ wären.«
»Welche Sache würde es vereinfachen?«
Sein Blick blieb völlig ruhig. Entweder war dieser Mann abgebrühter, als ich erwartet hatte. Oder alles war völlig anders, als wir dachten. Ich versuchte, ihn aus dem Konzept zu bringen, falls er eines haben sollte.
»Wo waren Sie am Mittwoch, den elften Mai?«
»Zu Hause vermutlich«, antwortete er ohne Zögern. »Ich bin eigentlich immer zu Hause. Warum wollen Sie das wissen?«
»Genauer können Sie sich nicht erinnern?«
Er runzelte die ohnehin faltige Stirn. »Ein Mittwoch, sagen Sie? Der elfte Mai? War da nicht dieser Überfall auf die Bank von meinem blöden Nachbarn? Geht’s etwa darum?« Er drückte seine filterlose Zigarette aus und steckte sich die nächste an. »Ich hab damals überhaupt nichts mitbekommen von der ganzen Geschichte. Erst später, als auf einmal so viel Polizei da war …« Gierig saugte er an dem Glimmstängel, den er zwischen seinen knochigen, gelben Fingern fast zerdrückte. »Ist der Fall nicht gelöst? Die Täter sind doch gefasst, hab ich im Radio gehört.«
»Nicht gefasst, sondern erschossen. Was haben Sie also gemacht an dem Tag?«
»Am Mittwochmorgen mache ich die Terrarien sauber. Alle kriegen frisches Wasser. Und manche werden nur einmal die Woche gefüttert. Bestimmte Schlangen zum Beispiel, die sind die reinsten Hungerkünstler. Die darf man gar nicht so oft füttern, sonst werden sie krank.«
»Ihre Tiere sind interessant. Ein außergewöhnliches Hobby.«
»Herr Gerlach«, erwiderte er fast mitleidig, »machen Sie, was Sie wollen, aber versuchen Sie nicht, mich zu verarschen. Jeder normale Mensch ekelt sich vor meinen Lieblingen.«
Seligmann rauchte Roth-Händle, eine Marke, von der ich angenommen hatte, dass es sie längst nicht mehr gab. Nach wie vor fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren. Noch immer war ich halb im Wochenende und bei Theresa. Am Samstag hatte ich zu Mittag einen hübsch anzusehenden bunten Salat mit Shrimps serviert und zum Abendessen Kalbsschnitzelchen in einer für unser beider Geschmack äußerst gelungenen Madeira-Sauce.
»Dann sind Sie also nicht normal?«, fragte ich.
Seligmann lachte heiser und nahm wieder einen tiefen Zug. »Es gibt meines Wissens kein Gesetz, das vorschreibt, man hätte normal zu sein«, sagte er, während er langsam den Rauch ausatmete.
»Ist das Putzen von Terrarien eine tagesfüllende Beschäftigung?«
»Vermutlich hab ich später ein wenig gelesen.« Ruhig streifte er die Asche von seiner Zigarette in den fast schon vollen Aschenbecher. »Vielleicht ein Schläfchen gehalten. Musik gehört. Mir vielleicht schon überlegt, was ich fürs Wochenende einkaufen muss. Mir einen runtergeholt.«
Theresa hatte tapfer alles gelobt, was ich auf den Tisch brachte, und ich war auf meine Kochkünste stolz gewesen wie schon lange auf
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