Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
Vom Netzwerk:
bedauernswerte Frau nun bald ihren sechsundzwanzigsten Geburtstag unter den deprimierendsten Umständen begehen, die man sich denken kann. Dem Verfasser bleibt, ihr zu wünschen, die Polizei möge künftig solch bestialische Verbrechen mit etwas mehr Engagement verfolgen. Immerhin ist hier ein Hoffnungsschimmer zu vermelden: Aus zuverlässiger Quelle erfuhr der Verfasser, dass der Fall Jule A. derzeit erneut aufgerollt wird. Die jüngsten Fortschritte der Kriminaltechnik lassen hoffen, dass der Täter am Ende doch noch seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Dies wäre immerhin ein, wenn auch überaus trauriges Geburtstagsgeschenk für sein bedauernswertes Opfer.
     
    Sogar Fotos von Jule und Seligmann hatte Möricke in irgendeinem Archiv gefunden. Damals hatte er noch völlig anders ausgesehen. Da war noch nichts von diesem unterwürfigen und zugleich verschlagenen Blick. Der Rücken war noch gerade, die Stirn glatt, der Mund nicht so mürrisch wie heute. Kaum zu glauben, dass das Foto nur zehn Jahre alt war.
    Ich blätterte die Zeitung bis zum Ende durch. Aber außer einem großen Kreuzworträtsel, das meine Sekretärin – wohl während der Dienstzeit, wenn ich recht überlegte – mit ihrer akkuraten Schrift ausgefüllt hatte, fand ich nichts Erwähnenswertes mehr. Ich faltete sie zusammen, warf sie auf den Tisch und legte mich aufs Sofa. Keith Jarrett spielte leise Klavier.
    Weshalb hatte dieser Artikel Seligmann so aus der Fassung gebracht? Musste er sich nicht freuen, wenn der Fall neu aufgerollt und der Täter vielleicht doch noch ermittelt wurde? Oder sollte er am Ende eine ganz andere Rolle in dem Drama vor zehn Jahren gespielt haben, als alle Welt glaubte?
    Jetzt fiel mir ein: Seligmann hatte den Bankraub in der Sekunde gestanden, als er hörte, wir würden das Handy auf DNA-Spuren untersuchen. Um diese auswerten zu können, hätten wir natürlich auch von ihm eine Speichelprobe nehmen müssen. Und das musste er unter allen Umständen verhindern, denn er konnte sich ausrechnen, dass wir die Analyseergebnisse später routinemäßig auch durch die Computer des BKA jagen würden. Es war wie bei einem Schachspiel. Standen die Figuren erst einmal richtig, dann fügte sich plötzlich eines zum anderen, dann war das Ergebnis programmiert. Auch hier gab es nur eine einzige Ausgangsstellung, aus der sich alles Weitere folgerichtig ergab. Seligmann hatte Jule vergewaltigt. Es war ihm gelungen, die Tat zu vertuschen, aber mit seiner Schuld war er nicht fertig geworden. Er begann zu trinken, wurde schließlich krank an seinem schlechten Gewissen. Vermutlich war damals einfach niemand auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet er, Jules Lebensretter, könnte der Täter sein. Und als er nun las, der Fall würde neu untersucht, hatte ihn die alte Angst gepackt. Alles, was er so lange niedergekämpft, so mühsam unterdrückt hatte, war wieder hervorgebrochen. In seiner Ausweglosigkeit hatte er schließlich versucht, sich das Leben zu nehmen. War, als ihm dies nicht gelang, geflüchtet, irgendwohin, nur weg, weit weg vom Ort seines Verbrechens, das um so vieles schlimmer war als der Bankraub, bei dem ja niemand ernstlich zu Schaden gekommen war.
    Was übrig blieb, war das Handy. Das passte nicht in mein Konzept. Wie kam das in seinen Wagen, wenn er mit dem Bankraub nichts zu tun hatte?
    In der Wohnungstür drehte sich ein Schlüssel. Meine Zwillinge kamen zurück, mit roten Bäckchen und blendender Laune. Offenbar hatten sie einen schönen Abend gehabt. Nur Sarahs Gesicht schien mir schon wieder ein wenig asymmetrisch zu sein.

15
    Den Blumenstrauß hatte ich vergessen. Sönnchen war immer noch sauer auf mich und strafte mich mit extradünnem Kaffee. Ich bat sie in wärmstem Ton um Verzeihung, lobte sie dafür, dass sie so rasch die Zeitung besorgt hatte, erzählte ihr von dem neuen Verdacht gegen Seligmann. Aber sie murmelte nur etwas von Männern, die manchmal zickiger seien als die schlimmsten Frauen. Dann ließ sie mich mit meinem Frühstück allein. Als ich sie später bat, mir die Akte Jule Ahrens zu besorgen, klang sie schon wieder ein wenig milder. Bald darauf erschien Rolf Runkel, der längst alle anderen Kollegen bei der Kripo an Dienstjahren übertraf und von Balke standhaft »Rübe« genannt wurde. Er trug unter jedem Arm einen dicken Ordner.
    »Die haben auf meinem Schreibtisch gelegen«, erklärte er mir betreten, nachdem er sich umständlich gesetzt hatte. Runkel gehörte zu den Menschen, die immer so

Weitere Kostenlose Bücher