Heidelberger Wut
vorbereitet.«
»Freust du dich denn, dass wir wieder da sind?«, fragte Louise ungläubig.
»Und wie! Ich hab euch richtig vermisst.«
»Was denn für eine Überraschung?«
»Hamburger. Ich hab schon alles eingekauft. Es gibt Hamburger zum Sattessen.«
»Das geht aber nicht«, sagte Louise mit fester Stimme.
»Wieso nicht? Ihr liebt doch Hamburger.«
»Weil wir jetzt Vegetarier sind«, erklärte Sarah mit großem Ernst. »Wir essen nichts mehr von Tieren.«
»Wir haben drüber nachgedacht«, fiel Louise ein. »Die wollen doch auch leben, und es ist doch eigentlich eine Riesenschweinerei, sie umzubringen, bloß weil sie uns gut schmecken und so weiter.«
Na prima. Nun konnte ich also eine Woche lang jeden Abend Frikadellen essen.
»Auf Sylt haben wir gesehen, wie sie von den Booten kistenweise Fische tragen, die noch leben!«, empörte sich Louise. »Die haben noch gezappelt und nach Luft geschnappt! Das ist doch so was von gemein, findest du nicht auch? So viele Tiere müssen sterben, weil du Lust auf Hamburger hast!«
Diese Logik war zwar nicht ganz schlüssig, aber im Prinzip nachvollziehbar.
»Tiere haben genauso ein Recht auf Leben wie wir!«, meinte Sarah.
Wir einigten uns schließlich auf eine Gemüsepfanne. Nach kurzer Diskussion durfte ich sie immerhin mit Käse überbacken. Beim Essen empörten sich meine Töchter noch ein wenig über uns herzlose Menschen, die unentwegt wehrlose Lebewesen ermorden, und ich überlegte, was ich künftig auf den Tisch bringen sollte. Gemeinsam stellten wir fest, dass eine Gemüsepfanne, ordentlich gewürzt, eigentlich auch ganz genießbar war.
Später zogen sie davon, um eine Klassenkameradin zu besuchen und Sylt-Fotos auf deren PC anzugucken. Alle hatten nämlich heutzutage PCs zu Hause, erfuhr ich, und Internet sowieso. Nur wir natürlich nicht. Wir waren die Einzigen, die überhaupt noch Fotos mit solchen vorsintflutlichen Knipsapparaten machten und Handys ohne eingebaute Kameras hatten.
In der Küche stand noch eine angebrochene Flasche Rotwein. Ich legte ruhige Musik ein und die Füße auf den Couchtisch (was ich natürlich nur tat, wenn meine Töchter es nicht sahen) und schlug Sönnchens inzwischen heillos zerknitterten Kurpfalz-Kurier auf.
Auf Seite fünf, unter »Regionales«, fand ich, was ich suchte. Der dreispaltige Artikel war unterzeichnet mit »JM«, was in Anbetracht der alarmfarbenen Überschrift nur »Jupp Möricke« bedeuten konnte.
»Polizei versagt erneut!«, knallte es mir entgegen. »Grausame Vergewaltigung einer Minderjährigen bis heute nicht aufgeklärt!«, lautete die Unterzeile.
Möricke ging zunächst noch einmal in scharfer Form und aller gebotenen Deutlichkeit auf den Fall Melanie Seifert ein. Und dann kam es:
Wäre dies der erste und einzige Fall, könnte man ja noch an Versagen einzelner Beamter glauben. Die Methode scheint jedoch System zu haben. In Kürze jährt sich zum zehnten Mal jene Nacht, in der die eben sechzehnjährige Jule A. Opfer eines abscheulichen Verbrechens wurde. Brutal vergewaltigt und mehr tot als lebendig wurde sie von einem Zeugen nachts auf dem Gehweg der Eppelheimer Goethestraße aufgefunden. Beherzt fuhr der tapfere Mann das blutende und bewusstlose Opfer ins nächste Krankenhaus. Und nur seinem selbstlosen Einsatz ist es zu danken, dass Jule A. heute noch am Leben ist. Aber unter welchen Umständen! Geistig verwirrt und der Sprache nicht mehr mächtig, lebt sie in einem Heim für schwerstbehinderte Erwachsene im Odenwaldkreis. Und was hat die Polizei in diesem Fall unternommen? Man mag es nicht glauben: so gut wie nichts! Noch immer erfreut sich der Täter seiner Freiheit! Wie viel Schuld mag er in den vergangenen zehn Jahren auf sich geladen haben? Wer kann sagen, wie viele Frauen und Mädchen in dieser Zeit zum Opfer seiner perversen Gelüste wurden? Sollte man nicht erwarten, dass die Kriminalpolizei alle Hebel in Bewegung setzt, damit ein solches Scheusal gefasst und unschädlich gemacht wird? Damals, am Tag des niederträchtigen Verbrechens, hätte Jule A. unter normalen Umständen zusammen mit Freundinnen und Freunden ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert. Aber ausgerechnet an ihrem Freudentag, an der Schwelle von der Jugendlichen zur Heranwachsenden, musste sie alle ihre Hoffnungen und kleinen Wünsche begraben. Niemals wird Jule A. ein normales Leben führen. Niemals wird sie sich als Mutter an ihren Kindern freuen, einem Mann ihre Liebe entgegenbringen können. Stattdessen wird die
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