Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
Vom Netzwerk:
schon.«
    Minuten später waren wir versorgt. Seligmann konnte wieder rauchen, und auf dem Tisch standen zwei offene Flaschen. In der Zelle roch es inzwischen wie in einer billigen Eckkneipe abends nach halb zwölf. Der Aufsichtsbeamte hatte zwar leicht verwundert geguckt. Da er jedoch wusste, mit wem er es zu tun hatte, und ich bestimmt nicht den Eindruck erweckte, als wollte ich lange herumdiskutieren, hatte er mir brummelnd zwei Flaschen aus irgendeiner dunklen Quelle verkauft, über die ich lieber nichts wissen wollte. Dem Ort angemessen war der Preis kriminell gewesen. Hehlerbier vermutlich.
    »Okay«, sagte ich nach einem langen Schluck. »Weiter im Text. Ich will vor Mitternacht zu Hause sein.«
    »Dann sind alle Dämme gebrochen. Innerhalb von Sekunden. Glauben Sie mir, ich hatte so etwas noch nie, nie, nie erlebt. Ich war doch immer ein vernünftiger Mensch, einer, der sich im Griff hat, seine Gefühle im Zaum hält, Herrgott! Und dann auf einmal dieses wahnsinnige Verlangen, das keine Rücksicht kennt, keinen Anstand, kein Gesetz, keine Altersunterschiede, kein … Aber ich werde wohl trivial. Entschuldigen Sie. Das interessiert Sie vermutlich nicht.«
    »Richtig. Was mich interessiert: Wann haben Sie zum ersten Mal mit ihr geschlafen?«
    Er verzog das Gesicht, als hätte er sich auf die Zunge gebissen.
    »Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Am siebten Juli. An dem Abend, als sie … als sie später …«
    »Dann war sie damals also bei Ihnen, in der Nacht?«
    Er nickte mit einer Miene, die tiefe Verwunderung ausdrückte.
    »Wir hatten uns oft getroffen nach diesem unseligen Nachmittag in der Stadt. Heimlich natürlich. Irgendwo, wo uns bestimmt niemand kannte. Jule wollte, lockte, drängte. Aber sie war doch ein Kind! Es ging doch nicht! Sie machen sich keine Vorstellung, was ich durchgemacht habe.«
    »Mir kommen die Tränen.«
    »Alles, alles haben wir gemacht, nur das Eine nicht. Ich habe es wirklich geschafft, standhaft zu bleiben, bitte glauben Sie mir. Aber es war die Hölle. Und der Himmel. Es war der komplette Irrsinn.«
    Endlich begriff ich. »Sie wollten warten, bis sie sechzehn war?«
    »Sie kennen die Paragrafen, Sie sind Polizist. Wenn das Mädchen sechzehn ist, dann ist es kein Missbrauch mehr, falls sie einverstanden ist. Und das war sie weiß Gott, einverstanden.«
    »Auch Fummeln kann sexueller Missbrauch sein.«
    Er hörte mir nicht mehr zu.
    »Jule hat gebrannt, wie eine Frau nur brennen kann. Ich dachte immer, Mädchen in ihrem Alter, die sind doch noch unreif. Das muss sich doch alles erst entwickeln. Aber sie war eben auch in diesem Punkt anders.«
    »Von ihrem Vater habe ich erfahren, sie nahm die Pille.«
    »Die hatte ich ihr besorgt. War gar nicht so einfach. Ich musste nach Frankreich und mir ein paar ziemlich gute Ausreden einfallen lassen.«
    Seligmann sank zurück und sah lange zur Decke. Langsam, fast andächtig und Schluck für Schluck leerte er seine Flasche. Jetzt zitterte seine Hand nicht mehr.
    Ich gönnte ihm ein wenig Ruhe. Jetzt kam der schwierige Teil. Aber ich brauchte nichts zu fragen. Inzwischen war er es, der reden wollte. Der reden musste. Loswerden, was zehn Jahre lang sein Inneres zerfleischt hatte.
    »Wir hatten alles verabredet«, fuhr er schließlich fort. »Ich habe sie mit dem Auto geholt. Nicht weit von da, wo sie wohnte. Wir sind gleich zu mir gefahren, haben Sekt getrunken, eine Kleinigkeit gegessen. Es sollte ein Fest werden. Unser Fest. Bei manchen Kulturen hätte man es unsere Hochzeit genannt.«
    »Und? Ist es eines geworden?«
    Er legte die leere Flasche irgendwohin. »Ich habe noch nie gehört, dass ein Mädchen beim ersten Mal einen Orgasmus hat. Sie?«
    »Ich habe keine Ahnung davon.«
    »Man sagt doch immer, es tut ihnen weh. Sie brauchen eine Weile, bis es richtig funktioniert.«
    »Sie gehen mir auf den Geist mit Ihrem Gesülze.«
    »Ich weiß. Aber Sie wollten es wissen. Und nun müssen Sie es sich wohl oder übel auch anhören. Kriegen wir noch ein Bier? Was meinen Sie?«
    Inzwischen war auch meine Flasche leer. »Bekommt man dieses Fenster irgendwie auf? Man erstickt hier drin.«
    Wortlos erhob er sich und kippte das kleine Fenster mit dem halb blinden, heillos zerkratzten Kunststoffglas, das vermeiden sollte, dass sich jemand mit Hilfe einer Scherbe die Pulsadern aufschnitt.
    »Was ich die ganze Zeit überlege …«, fuhr er fort, als er mir wieder gegenübersaß. »Jule hat in der Nacht nämlich was gehört.«
    »Gehört?«
    »Als wäre

Weitere Kostenlose Bücher