Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
Vom Netzwerk:
Spur gab, dann war sie so harmlos, so unscheinbar, dass sie schon hundertmal übersehen wurde.
    Wir suchten den restlichen Samstag und den kompletten Sonntag. Balkes Flüche wurden von Stunde zu Stunde drastischer. Vangelis’ Miene immer zweifelnder.
    Wir fanden nichts.
     
    Am Montag blieb mir nichts anderes übrig, als aufzugeben. Ich konnte es nicht verantworten, meine fähigsten Leute noch länger damit zu blockieren, einem Hirngespinst nachzujagen. Liebekind gab sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen.
    Sogar meine Sekretärin schien sich inzwischen Gedanken um meinen Geisteszustand zu machen.
    Ich fühlte mich wie ein gerade eingefangenes Raubtier. Am Sonntagabend war ich erst nach neun nach Hause gekommen. Meine Töchter hatten sich nach einem Blick in mein Gesicht in ihr Zimmer verkrochen. Nicht einmal Theresa schien noch mit mir reden zu wollen. Oder war es an mir, mich zu melden? Vermutlich fühlte sie sich vernachlässigt, und vermutlich hatte sie auch noch Recht damit. Nein, so konnte es nicht mehr weitergehen. Im Lauf des Tages fing ich allmählich an, mich damit abzufinden, dass ich verloren hatte.
    Der Mann, der Jules Leben zerstört hatte, würde nun also doch ungestraft davonkommen. Wenn nicht ein Wunder geschah.
    Ich stürzte mich in liegengebliebenen Verwaltungskram. Sönnchen versorgte mich mit irgendwelchen Papieren, die ich unterschreiben musste, und ich wusste, ich würde keinen Fehler machen, wenn ich ihren fürsorglichen Anweisungen Folge leistete. Nach dem Essen saßen wir eine Weile zusammen, unterhielten uns, und ich merkte, dass ich seit Stunden nicht mehr an Jule gedacht hatte. Nebenbei erfuhr ich, dass die fünf Kartons Wein unterwegs waren. Ihre Schwester hatte sie ans Präsidium adressiert.
    »Hoffentlich kriegt Liebekind nicht mit, dass ich mir alkoholische Getränke ins Büro liefern lasse!«
    Sönnchen lachte herzlich bei der Vorstellung.
    Am Dienstag ging es weiter aufwärts. Zum ersten Mal seit Tagen hatte ich tief und traumlos geschlafen, und die Waage im Bad stellte offiziell fest, dass ich zwei Kilo abgenommen hatte. Plötzlich verstand ich mich selbst nicht mehr. Das ist doch das Erste, was man lernt als Polizist: Man darf sich nicht zu sehr einlassen, man darf nicht zu sehr Anteil nehmen an den Schicksalen, mit denen man zu tun hat, sonst geht man kaputt.
    Jule war nicht geholfen, niemandem war geholfen, wenn ich den Täter jetzt noch stellte. Offenbar stellte er ja keine Gefahr mehr da, sonst hätte es Wiederholungstaten gegeben.
    Manche Fälle bleiben eben unaufgeklärt.
    Es gab genug anderes zu tun.
     
    »Sie sollen zum Chef kommen, Herr Kriminalrat«, waren Sönnchens erste Worte am Mittwoch. »Sofort, hat er gesagt.«
    »Sie haben es vermutlich schon gelesen?« Liebekind wedelte wieder einmal mit einem seiner Zeitungsausschnitte. »Wie, bitte schön, konnte das an die Presse gelangen?«
    Ich setzte mich und überflog den Artikel, der wieder einmal mit JM gezeichnet war.
    »Hatte Lehrer Verhältnis mit minderjähriger Schülerin?«, lautete die fette Überschrift.
    Möricke schaffte es elegant, alles so zu formulieren, dass Seligmann ihn nicht wegen Rufmordes verklagen konnte. Alles blieb Vermutung, war an den richtigen Stellen mit Fragezeichen versehen. Am Ende blieb der erwünschte Eindruck, nur Seligmann könne der Täter sein, aus irgendwelchen undurchsichtigen Gründen würde er jedoch nicht zur Rechenschaft gezogen.
    »Ich glaube kaum, dass das aus unserem Haus kommt.« Ich schob Liebekind das Papier wieder hinüber. »Vielleicht hat er einen Vollzugsbeamten bestochen. Andererseits – so gut wie jeder hier weiß natürlich von der Sache.«
    Liebekind lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
    »Egal. Dieser Herr Möricke weiß wirklich, was er tut. Auf seine perfide Weise ist der Kerl ein Genie.«
    »Und für Seligmann ist das eine Katastrophe. Am besten, er verkauft sein Haus und zieht weit weg.«
    Liebekind dachte nach. Aber er kam zu keinem Ergebnis.
    »Wir könnten eine Presseerklärung herausgeben«, schlug ich vor. »Wenigstens die Tatsachen klarstellen.«
    »Nein.« Langsam schüttelte mein Chef den Kopf. »Ich denke, das werden wir lassen. Was dieser Seligmann vor zehn Jahren getan hat, ist zwar juristisch nicht von Belang. Aber es ist in meinen Augen moralisch zumindest fragwürdig. Und ausnahmsweise werden einmal nicht wir angegriffen. Dies hier …«, er schlug mit der flachen Hand auf Mörickes Artikel, als wollte er ein

Weitere Kostenlose Bücher