Heidelberger Wut
»Was wollen Sie?«
»Eine Frage nur. Vielleicht ist es die letzte Chance, den Kerl zu finden, der Ihrer Jule das angetan hat.«
»Meiner Jule«, murmelte er. »Wie sich das anhört. Meine Jule.«
»Sie haben doch damals hier Geburtstag gefeiert, nachts um zwölf.«
Er zog eine gequälte Grimasse. »Das wissen Sie doch alles schon.«
Es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. Schon wieder machte mich seine Trägheit wütend, seine Passivität, seine ganze widerliche Art. »Was ich aber nicht weiß«, herrschte ich ihn an, dämpfte meine Stimme aber sofort wieder, »Sie haben Ihrer kleinen Geliebten doch bestimmt auch was geschenkt.«
»Geschenkt?« Er starrte mich an wie ein Gespenst aus einem seiner Alpträume. »Was spielt das denn jetzt noch für eine Rolle, ob ich ihr was geschenkt habe?«
»Was war es? Was hat sie gekriegt von Ihnen?«
»So einen kleinen tragbaren CD-Spieler. Sie hatte sich das Ding so gewünscht. Und ein Tagebuch, eines, das man abschließen kann. Sie hatte Angst, ihre Mutter liest es sonst. Und sie wollte doch alles aufschreiben. Das war ihr wichtig. Dass nichts vergessen wird, hat sie immer wieder gesagt.«
»Dieser Discman, von welcher Firma war er? Welcher Typ? Was für eine Farbe hatte das Tagebuch?«
»Warum ist das denn so wichtig? Das Buch war rot, glaub ich.«
»Weil in unseren Akten weder ein Discman noch ein rotes Buch erwähnt wird. Haben Sie vielleicht den Kassenzettel noch irgendwo? Eine Bedienungsanleitung?«
Er schüttelte müde den Kopf.
»Sehen Sie nach. Vielleicht haben Sie ja doch noch irgendwas. Und wenn Sie was finden, rufen Sie mich an, okay?«
»Sie hat ihn gleich ausprobiert«, sagte er langsam und nun so leise, dass ich ihn durch die geschlossene Glastür kaum noch verstehen konnte. »Sie hat noch überlegt, wie sie das Ding daheim in ihr Zimmer schmuggelt. Die Eltern durften ja nichts davon wissen. Ich hab die Verpackung dann weggeworfen, jetzt fällt’s mir wieder ein. Und da wird auch der Kassenzettel dabei gewesen sein. Goldfarben war er. Ein japanisches Modell. Es war der Teuerste, den sie hatten. Jule fand, er hatte einen wunderbaren Klang.«
Den letzten Satz hatte ich mehr erraten als gehört.
»Hast du Lolita gelesen?« Theresa sah nachdenklich dem Rauch ihrer Zigarette nach.
»Die ersten hundert Seiten. Dieser Nabokov war doch pervers. An einen besonders ekligen Satz erinnere ich mich noch: Die Lippen so rot wie ein abgeleckter Bonbon. Und das Mädchen war zwölf!«
»Vielleicht hättest du weiterlesen sollen. Vielleicht hättest du dann eine bessere Meinung von ihm. Es war ein reines Miss-Verständnis, dass das Buch in der ersten Auflage in einem Pariser Verlag erschien, der auf Pornografie spezialisiert war. Der Lektor hatte vermutlich auch nicht weiter gelesen als du.«
»Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Monsieur Humbert war über vierzig, und seine Lolita war zwölf, du erinnerst dich richtig. Und als sie es zum ersten Mal miteinander trieben, da ist sie auf ihn gestiegen und nicht umgekehrt.«
»So weit bin ich gar nicht gekommen. Aber sie war ein Kind, genauso wie Jule.« Ich schmiegte meine Wange an ihre weiche Schulter. »Immerhin war er nicht auch noch ihr Lehrer.«
»Schlimmer als das: Er war ihr Vater. Oder genauer, der Mann von Lolitas Mutter.« Theresa drückte die Zigarette in dem gläsernen Aschenbecher aus, der auf ihrem bloßen Bauch stand, stellte ihn ruhig beiseite und wandte sich mir zu. Mit dem Zeigefinger stupste sie gegen meine Nase.
»Mein geliebter Alexander«, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme, die ich so liebte. »Manchmal könnte man denken, du lebst im falschen Jahrhundert.«
»Unzucht mit einer Schutzbefohlenen«, murrte ich. »Paragraph hundertvierundsiebzig, StGB, Absatz eins.«
Sie küsste mich auf den Mund. »Ja, Herr Kriminalrat, ich weiß. Du sprichst schon wie Egonchen. Aber dummerweise, oder vielleicht auch glücklicherweise, gibt es manchmal einen Unterschied zwischen euren Gesetzen und dem wirklichen Leben.«
»Ungesetzlich war es nicht, das ist richtig. Da hat der Drecksack schon gut aufgepasst. Aber es war unmoralisch in meinen Augen. Das Mädchen hätte möglicherweise jahrelange Therapien gebraucht, um halbwegs ins psychische Gleichgewicht zu kommen und normale Beziehungen zu normalen Männern aufnehmen zu können. Männern, die nicht ihr Opa sein könnten!«
Ihre Hand fuhr über meine Brust, streichelte meinen Bauch. Blieb dort ein Weilchen liegen. Dann gab sie mir einen
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