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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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Lebensmitteln und bruchfestem Geschirr, Tüten voller Mitbringsel.
    Der Herr des Hauses, ein schüchterner Mann, der einige Jahre älter zu sein schien als seine resolute Frau, begrüßte mich verlegen. Rasch kam heraus, dass seine Frau nur wenig über ihre Nachbarn zu erzählen wusste.
    »Ich bin ja die meiste Zeit außer Haus«, erklärte sie. »Einer muss ja hier schließlich das Geld verdienen. Kaffee?«
    Herr Habereckl zog schuldbewusst den Kopf ein. Ich lehnte den Kaffee ab.
    »Er ist nämlich Künstler«, fügte sie mit einem verächtlichen Blick auf ihren Mann hinzu. »Wie erfolgreich, können Sie sich denken.« Sie machte eine achtlose Geste in den Raum, der billig und ein wenig chaotisch, für meinen Geschmack jedoch hübsch eingerichtet war. Die Möbel waren nicht neu, die Teppiche schon ein wenig abgestoßen. Aber man sah und fühlte, hier lebten Menschen und keine Selbstdarsteller.
    »Sie malen?«, fragte ich freundlich.
    Der Ehemann lächelte mich traurig an.
    »Bildhauer«, sagte er in einem Ton, als wäre dies eine Sünde. »Ich habe auch schon ausgestellt! Es ist gar nicht so, wie sie immer sagt …«
    »Ist schon gut, Schatz«, sagte die Frau und setzte sich neben ihn auf das bunt bezogene Sofa. »Wir sind beide hundemüde. Und wir haben uns unterwegs mal wieder fürchterlich gestritten.«
    Er legte eine Hand auf ihr Knie. Sie kraulte seinen Nacken, als wäre er ein kranker Hund.
    »Also wenn sonst keiner will, ich brauch jetzt wirklich ’nen Kaffee.« Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich schon wieder. »Sechshundertfünfzig Kilometer in dieser Kiste, mit der man nicht schneller als achtzig fahren kann!«
    Sie verschwand in der Küche. Mir kam das gelegen.
    »Was wissen Sie über Ihre Nachbarn?«, fragte ich den deprimierten Bildhauer. »Familie Braun und Herrn Seligmann?«
    »Was man so sieht«, antwortete er bekümmert. »Hin und wieder guckt man aus dem Fenster, sucht nach Anregungen, Ideen …«
    Vermutlich verbrachte Habereckl auf der Ausschau nach Inspiration den halben Tag hinter den Gardinen seines Ateliers im Obergeschoss. Ein wohlbekannter süßlicher Geruch im Haus hatte mir längst klargemacht, dass er auch gewisse nicht ganz legale Mittel zur Steigerung seiner Kreativität einsetzte. Im IKEA-Regal an der Stirnwand des Raums standen völlig unverborgen mehrere gläserne Wasserpfeifchen. Auch jetzt schien er nicht recht bei der Sache zu sein. Ständig blieb sein Blick an irgendetwas kleben. Seine Stimme war leise und kraftlos.
    In der Küche klapperte umso lautstärker seine Frau herum. Zum Glück ließ sie sich Zeit mit dem Kaffee.
    Mit stockenden Sätzen und begleitet von unsicheren Blicken erzählte Habereckl. Es stellte sich heraus, dass er ein guter, geduldiger Beobachter war. Dass Seligmann jeden Montag- und Donnerstagnachmittag wegzufahren pflegte, pünktlich wie die Uhr, wusste ich schon. Auch, dass Braun abends oft zum Sport fuhr und meist erst spät nach Hause kam, war mir nicht neu.
    »Der ist ja kaum noch daheim. Ich meine, da ist es doch kein Wunder …« Mit einem besorgten Blick in Richtung Küchentür brach er ab.
    »Wenn da drüben jemand über den Zaun steigt, dann könnten Sie das von Ihrem Fenster aus vermutlich ganz gut sehen?«
    Er musterte mich verwirrt. »Schon. Aber …«
    »Aber?«
    »Man braucht das nicht. Man braucht nicht über den Zaun …«
    Herr Habereckl liebte es, Sätze unvollendet zu lassen.
    »Sondern?«
    »Na ja …«
    Warum quälte er sich mit der Antwort so?
    »Es geht mich ja nichts an, ich meine, die sind schließlich …«
    Ich fürchtete, dass der Kaffee nun bald fertig sein würde, und versuchte, die Sache ein wenig zu beschleunigen.
    »Was geht Sie nichts an?«
    »Na, was die … Der Zaun … ganz hinten, da, wo der große Rhododendron steht, da fehlt nämlich ein …«, er schluckte heftig, »… Stück.«
    »Das heißt, man kann da einfach so von einem Grundstück zum anderen spazieren?«
    »Man sieht es aber nur von hier. Von der Straße aus … es sind zu viele Pflanzen. Man sieht es auch nur von oben, von meinem Fenster.«
    Mir kam ein Verdacht. »Und wen sieht man da so hin- und herspazieren?«
    »Na ja, die … die arme Frau Braun doch. Sie ist so eine aparte Person. In den besten Jahren. Und der Mann nie daheim. Und natürlich denkt sie, kein Mensch merkt es, wenn sie hinübergeht … Oder auch mal er … Ich hab’s bisher auch niemandem … Nicht mal …« Wieder der furchtsame Blick zur Küche, wo inzwischen Ruhe eingekehrt

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