Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
Vom Netzwerk:
war.
    Das alte Spiel. Die verbotenen Früchte in der Bluse der Nachbarin. Also hatte sie Seligmanns Hausschlüssel nicht nur, um seine Tiere zu versorgen, sondern auch, um sich ein wenig um sein Wohlbefinden zu kümmern. Und daher die Aufregung, als er plötzlich verschwunden war.
    »Wie lange geht das schon so?«
    Leidend betrachtete er seine schwieligen Hände. Offenbar stand er doch nicht nur am Fenster. »Jahre. Vier? Fünf?« Er sah auf. »Sie war es«, murmelte er. »Sie war hinter ihm her. Nicht umgekehrt.«
    Ich erfuhr, dass Rebecca Braun so gut wie jeden Tag morgens gegen neun das Haus zu verlassen pflegte, um ihren Nachbarn zu besuchen, und dort oft bis in den Nachmittag hinein blieb.
    »Was tratschst du denn schon wieder?«, fragte Frau Habereckl fröhlich, die eben mit einem großen Becher in der Hand hereinkam. Der Kaffeeduft wehte ihr voraus. »Mein Gatte hat ja den lieben, langen Tag nichts anderes zu tun, als unsere armen Nachbarn zu bespitzeln.«
    Sie stellte den Becher auf den altmodischen Couchtisch, an dem schon hie und da das Eichenholz-Furnier abplatzte, und schenkte ihrem Mann ein liebevolles Lächeln.
    Draußen erhob sich plötzlich vielstimmiges Geschrei. Es klang, als schwebte jemand in akuter Lebensgefahr.
    »Er hat ihn geschlagen!«, verstand ich, als ich eilig vor die Tür trat. »Der Irre dreht vollkommen durch!«
    Die Journaille war in Aufruhr. Die Fernsehkamera lief, das Gesicht des Mannes dahinter war verzerrt vor Konzentration und Jagdfieber.
    Ich lief hinüber. »Wer hat wen geschlagen?«, fragte ich den Ersten, den ich greifen konnte.
    »Dieser Wahnsinnige in dem Haus da! Den Kollegen Möricke! Sehen Sie, ich glaub fast, er blutet sogar!«
    »Was genau ist passiert?«
    »Jupp wollte dem Mann bloß ein paar Fragen stellen. Ein kleines Interview. Ich hab ihn noch gewarnt. Jupp, sag ich noch, lass das lieber, der kann dich wegen Hausfriedensbruch drankriegen. Und stattdessen schlägt dieser Irre einfach zu! Reißt auf einmal die Tür auf, und rumms, haut er ihm einfach eine rein!«
    Seligmann hatte meinen Rat befolgt und auf Mörickes Klingeln nicht reagiert. Da der aber wusste, dass sein Opfer im Haus war, blieb er einfach stehen und drückte wieder und wieder den Klingelknopf, hämmerte gegen die Tür, bis Seligmann schließlich der Kragen platzte. Er hatte seinem unerwünschten Besucher einen bemerkenswert gut gezielten Faustschlag versetzt.
    Das Opfer des Anschlags saß mit käsigem Gesicht in seinem Ford Kombi und hielt sich eine kalte Colaflasche ans schon sichtbar anschwellende rechte Auge.
    »Möchten Sie Anzeige erstatten?«
    »Anzeige?« Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Nee. So leicht kommt mir der nicht davon. So leicht nicht! Das gibt eine richtig fette Story!« Er nahm die Flasche herunter. »Hat irgendwer Fotos gemacht?«
    »Aber hallo!«, rief ein Riese, auf dessen Kugelbauch zwei Kameras baumelten. »Alles drauf.«
    »Der arme Kerl«, meinte eine schmale, dunkelhaarige Frau neben mir. »Und das ausgerechnet an seinem Geburtstag!«
    »Sie haben heute Geburtstag?«, fragte ich Möricke.
    »Da ist drauf geschissen«, knurrte der. »Mir schenkt ja sowieso keiner was.«
    Geburtstag. Geschenke. Das war es. Sekunden später war ich es, der an Seligmanns Tür bollerte.
    »Machen Sie auf!«, rief ich. »Ich muss mit Ihnen reden!«
    »Verschwinden Sie!«, hörte ich seine dumpfe Stimme. »Sagen Sie ihm, er soll mich ruhig verklagen. Und wenn er das nächste Mal mein Grundstück betritt, dann kriegt er noch eine aufs andere Auge.«
    »Darum geht es nicht. Ich muss mit Ihnen reden. Bitte machen Sie auf!«
    »Ich muss aber nicht mit Ihnen reden. Hauen Sie ab!«
    Ich hörte, wie sich seine schweren Schritte entfernten. Also umrundete ich das Haus, und Sekunden später standen wir uns an der geschlossenen Terrassentür gegenüber.
    »Sie sollen abhauen!«, sagte Seligmann und wollte sich abwenden. »Verstehen Sie kein Deutsch?«
    »Es war nicht besonders schlau, sich den Mann zum Feind zu machen«, rief ich gerade so laut, dass er mich durch die Glastür hören musste. »Der wird jetzt alles daran setzen, Sie fertig zu machen.«
    »Mich?«, keuchte er ungläubig und starrte mich aus wässrigen Augen an. »Mich fertig machen?«
    Seine Stimme war schwerfällig. Vermutlich hatte er wieder einmal getrunken. Er stützte sich mit beiden Händen gegen den Türrahmen. Glotzte mich durch die ziemlich schmutzige Scheibe an.
    »Also«, stöhnte er, als hätte er starke Kopfschmerzen.

Weitere Kostenlose Bücher