Heidelberger Wut
kräftigen Klaps.
»Soll ich dir erzählen, wie es damals bei mir war? Auf die Gefahr hin, dass du gegen meinen ersten Liebhaber ein Ermittlungsverfahren einleitest? Obwohl das fast dreißig Jahre her ist. Ich nehme an, seine Schandtat ist inzwischen verjährt.«
»Gestehe, wer war das Schwein?«
»Mein Klavierlehrer.« Mit verträumtem Lächeln sah sie irgendwohin. »Er war Orchestermusiker an der Philharmonie in Frankfurt. Ein Traum von einem Mann! Anfang dreißig, für mich natürlich sehr erwachsen. Zum ersten Mal gesehen habe ich ihn bei einem Konzert. Liszt, das zweite Klavierkonzert, A-Dur, ich weiß es wie heute. Am übernächsten Tag war dann sein Bild in der Zeitung, den Artikel habe ich bestimmt noch irgendwo. Gerald hieß er, und irgendwie habe ich meine Eltern herumgekriegt, dass ich Klavierstunden bei ihm nehmen durfte, obwohl es furchtbar teuer war und eine elende Fahrerei nach Sachsenhausen und zurück.«
»Du spielst Klavier? Das wusste ich ja gar nicht.«
»Ich hätte sogar um ein Haar Musik studiert. Und ich spiele fast jeden Tag ein wenig. Bei weitem nicht mehr so gut wie in meinen besten Zeiten, aber immer noch ganz passabel.«
Ich begann sie zu streicheln. »Eine Frau voller Wunder und Rätsel«, sagte ich in ihr Ohr. »Und weiter?«
»Während der zweiten oder dritten Stunde muss es gewesen sein, er saß ganz nah bei mir, hat manchmal meine Unterarme angefasst, um die Haltung der Hände zu korrigieren, und er roch so überwältigend nach Mann. Und da habe ich beschlossen: Diesem werde ich meine Unschuld opfern.«
»Und? Hast du ihn rumgekriegt?«
»Was für eine Frage.« Theresa lachte in sich hinein. »Er war ein Mann!«
»Der arme Kerl.« Ich knuffte sie in die Seite. »Okay. Ich weiß, dass junge Frauen verdammte Biester sein können, aber …«
»Wenn es dich beruhigt, ich war immerhin schon siebzehn.«
»Theresa, ich finde das nicht lustig. Und ich möchte jetzt nicht mehr über dieses Thema sprechen. Ich liebe deine Brüste, du verdorbenes Weib.«
»Lenk nicht ab!« Zärtlich schob sie meine Hand weg. »Es war so unglaublich schön mit ihm«, murmelte sie nach einer Weile andächtigen Erinnerns. »Er hatte so sensible Hände.«
Plötzlich öffnete sie die Augen, sah mir ins Gesicht. Ihr Lächeln war erloschen. »Und weißt du was? Es war tausendmal besser, als es mit einem dieser pickligen, ständig schwitzenden und nach Hammel riechenden Jungs in meinem Alter jemals hätte sein können. Bei Gerald habe ich in wenigen Wochen so vieles gelernt.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Dass Sex, Lust auf Sex, etwas ist, wofür man sich nicht schämen muss. Alle meine Freundinnen haben sich schrecklich geschämt nach dem ersten Mal. Hatten Gewissensbisse nach dem ersten Versuch mit einem dieser pickligen Amateure. Ich dagegen habe mich nie geschämt, weil Gerald mir das Gefühl gab, dass alles richtig und normal war, was wir taten. Dass es so sein muss. Weil die Natur es so will.«
Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach.
»Der einzige kleine Nachteil bei der Geschichte …« Theresa gluckste. »… ich kann seither nicht mehr Klavier spielen, ohne an Sex zu denken. Hätte ich Musik studiert, ich wäre zur Nymphomanin geworden.«
Sie zündete sich eine neue Zigarette an.
»Er hat so gut gerochen«, murmelte sie dann verträumt. »Ein wenig nach wildem Tier. So wie du.«
»Was macht er heute?«
»Ich weiß es nicht. Unser Verhältnis dauerte nicht einmal drei Monate. Und auch wenn es bestimmt gegen irgendwelche Paragraphen verstößt, auch wenn du es unmoralisch findest, weil er doppelt so alt war wie ich – wir waren glücklich.«
Ich streichelte sie eine Weile still.
»Jetzt könntest du es noch mal sagen«, gurrte sie und schmiegte sich in ganzer Länge an mich.
»Was?«, fragte ich verwirrt.
»Das mit meinen Brüsten.«
25
Am Mittwoch hatte Möricke es endlich in die überregionale Presse geschafft. Die Bild-Zeitung brachte seine Geschichte sogar als Aufmacher, und aus einem Faustschlag aufs Reporterauge war ein nur knapp gescheiterter Mordversuch an einem Vertreter der vierten Gewalt geworden, der im Dienste der Wahrheit unerschrocken sein Leben riskierte. Der Artikel im Kurpfalz-Kurier nahm fast eine ganze Seite ein. Ein großes Foto zeigte genau den Moment, in dem Seligmanns Faust in Mörickes ziemlich dümmlich dreinschauendes Gesicht fuhr. Die Frage, ob Seligmann juristisch oder moralisch schuldig war, stellte sich nun nicht mehr. In den Augen der
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