Heidenmauer
im Unbewussten die Erwartung einer Arbeits- und Schulwoche in Körper und Geist legte und die Trauer über ein im Vergehen begriffenes Wochenende. Diese feine Lähmung zähmte beinahe auch die Widerborstigkeit und Nörgellust pubertierender Teenies.
An diesem Abend war es Lena, die jüngere von beiden, die auf fast schon mitleiderregende Weise versuchte, ein Thema zu finden, das sich für einen kleinen Küchentischeklat eignen könnte. War bei Laura das pubertäre Feuer langsam, aber erkennbar am Verlöschen, loderte es bei ihrer Schwester immer züngelnder auf. Lenas Thema war indes so alt wie langweilig; sie hatte sich die pädagogische Unfähigkeit des Lehrpersonals sowie die von diesen Wesen angewandten vorsintflutlichen Methoden ausgesucht.
Conrad Schielin hörte den Ausführungen mit halbem Ohr zu und simulierte durch fehlenden Widerspruch so etwas wie Zustimmung. Er las Zeitung, seine Frau blätterte in einem Katalog, und Laura saß mit betont gelangweilter Miene dabei und tippte auf dem Handy herum. Erst nach einer Weile wurde Conrad Schielin klar, dass es in irgendeiner Weise um Gedichte ging. Er schenkte der Diskussion daher mehr als zwanzig Prozent Aufmerksamkeit und ermittelte nach einer Weile, dass seine Tochter den pädagogischen Sinn des Auswendiglernens von Gedichten in Zweifel zog. Sie führte allerhand Argumente ins Feld, deren inhaltlicher Wert sich vor allem im intensiven Gebrauch von Fremdworten manifestieren sollte. Der Sinngehalt ihrer Argumentation hingegen blieb ihm verschlossen.
Jetzt sagte sie: »Das ist doch aus der Mottenkiste der schwarzen Pädagogik und überhaupt nicht altersgemäß. Heute existiert eine völlig andere Lernmethodik.«
Die Flüssigkeit der Argumentation und die stereotype Formulierung klangen ganz nach einem auswendig gelernten Text, und das machte ihn stutzig.
»Wer sagt das?«, fragte er argwöhnisch. Offensichtlich hatte sein Töchterchen keine Schwierigkeiten, Derartiges zu memorieren.
»Deboreas Eltern«, lautete die missmutige Antwort in der mitschwang, dass wenigstens diese Eltern so ganz auf der pädagogischen Höhe der Zeit waren.
»Au weh.« Er drehte sich zu seiner Frau herum, die nach hinten gegangen war und sich ein Glas Wein einschenkte, und fragte: »Sind das die mit der Milch?«
Sie nickte und grinste boshaft.
»Hätte ich mir eigentlich denken können … Deborea … wer sonst kommt auf einen solchen Namen.«
»Welche Milch?«, fragte Lena, die eigentlich altklug bemerken wollte, dass das Kind schließlich nichts für seinen Namen könne, aber dann hätte sie zu hören bekommen, wie schön ihr Name doch sei, was sie auch so sah, und ihre Neugier hätte warten müssen.
Das so banale Wort Milch in Verbindung mit Deboreas Eltern war irgendwie ungewöhnlich und daher von Interesse.
Conrad Schielin atmete tief aus. »Deine Mutter hat mich einmal in einen Vortrag geschleppt, bei dem es angeblich um gesunde Ernährung gehen sollte …«, von hinten drang ein hämisches Lachen in den Raum, von dem er sich jedoch nicht irritieren ließ, »die Vortragenden waren Deboreas Eltern. Im Grunde ging es dabei nur darum, den Leuten, die in guter Absicht, und viele nur aus Höflichkeit, gekommen waren, zu erzählen, dass sie keine Milch und auch keine Milchprodukte mehr verwenden sollten, da die Milch von Kühen naturgegeben für die süßen kleinen Kälbchen da sei und dadurch, dass wir bösen Menschen diesen unschuldigen Tierkinderchen die Milch wegsaufen, würde eine ganze Nahrungsmittelindustrie aufrechterhalten, die die Umwelt zerstöre und Unglück in die Welt brächte, ich weiß auch noch, wie sie, also Deboreas Mutter, erst begann, Sojaquark zu bewerben, um dann zu Sauerampfer und Löwenzahnsalat zu kommen … so in etwa lief das ab. Es war jedenfalls eine groteske Veranstaltung. Am Ende sollten wir noch irgendeine Petition unterschreiben, einfach grauenhaft. Das Milchprojekt scheint wohl etwas erfolglos gewesen zu sein, und nun sind anscheinend die Schulen und die Lehrer dran.« Er wendete sich Laura zu, die für einen Augenblick das Handy aus dem Blickfeld genommen hatte. »Die sind übrigens auch der Meinung, dass Handys zu einem großen Teil für die Erderwärmung verantwortlich seien, nur um das mal gesagt zu haben, wegen eurer SMS werden wir mal alle ersaufen.«
Er widmete sich wieder Lena und sah sie eindringlich an. »So wie ich die kenne, gibt es doch sicher einen Aufruf, eine Unterschriftenliste oder so was.«
Lena stand auf und kam
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