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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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»Nimmt alles auf das Ding, jede Bewegung da drüben und alles, was von der Insel rein und rausfährt … Weitwinkel … digital aufgelöst … sieht man das Weiße in den Augen.«
    Schielin nickte anerkennend. »Bring mir die Aufnahmen vorbei, wenn wir hier fertig sind.«
    Im Vorraum des Kinos saß eine Frau auf einem Hocker. Schielin fiel ein, das er noch nie am helllichten Tage hier gewesen war, abends hingegen unzählige Male. Anders als in den Momenten, da er in Erwartung eines Films hier gestanden und gewartet hatte, kam ihm der Raum jetzt unwirtlich, geradezu abweisend vor. Zu viel Licht für ein Kino, jetzt am Tage, dachte er. Es muss etwas duster sein, befand er.
    Er sah zur Frau hinüber und verzichtete auf weitere Gedanken über zu lichte Kinos. Sie hatte beide Ellbogen auf die Knie gestützt, und ihr Kinn ruhte nachdenklich auf den beiden Händen. Da sie nach vorne gebeugt saß, fielen ihre glatten blonden Haare seitlich über die Wangen, wodurch nur Mund, Nase und Augen sichtbar waren. Sie machte nicht den Eindruck, aus der Fassung gebracht worden zu sein, und so war auch ihr weiteres Auftreten. Nachdem Schielin sich vorgestellt hatte und seine einfachen Fragen stellte, antwortete sie mit fester Stimme und ohne jene Floskeln und Phrasen zu gebrauchen, die er in solchen Situationen oft gehört hatte. Seine Favoriten waren Ach, wie schrecklich, gefolgt von Ja ist es denn zu glauben und Was man nicht alles erleben muss.
    Sie erzählte, dass sie sich auf dem Weg vom Inselparkplatz zur Fischergasse befunden hätte, als sie kurz hinter dem Kino diese liegende Gestalt im Vorübergehen wahrgenommen hatte. Eigentlich hatte sie schon weitergehen wollen, nur ein Betrunkener schon früh am Morgen, aber dann habe sie sich gedacht, dass jetzt am helllichten Tage ja nichts passieren könne, und sei die paar Schritte zwischen die Bäume getreten. Schon als sie gesehen habe, wie befremdend die Tasche ein stückweit vom Körper entfernt gelegen hatte, habe sie gewusst, dass das nichts mit einem Betrunkenen zu tun haben konnte. Auf die Frage, wie sie darauf käme, zuckte sie nur mit den Schultern und meinte, dass man manchmal Dinge sähe und sofort ahnte, was es damit auf sich hat, wobei das Ahnen mehr ein Wissen sei. Als sie dann das Blut gesehen habe, am Ohr und auf der Wange, nicht viel, aber auch in den Haaren klebte ein wenig, da habe sie doch lieber die Polizei angerufen.
    Schielin hatte aufmerksam zugehört, einige Stichpunkte notiert, und als sie auf seine Frage, ob sie noch etwas Auffälliges habe feststellen können, nichts erwiderte, zog er langsam und nachdenklich einen Strich unter die Notizen.
    Er erkundigte sich noch, was sie auf der Insel vorgehabt hätte, und sie antwortete: »Mein Geschäft wollte ich aufsperren, mein Geschäft.« Und ohne dass er nachgefragt hatte, ergänzte sie: »Antiquitäten.«

    Er begleitete sie zur Tür und bat sie, nicht den Weg vorbei an den Schaulustigen zu nehmen. Zwischen den mächtigen alten Bäumen waren die weißen Overalls auszumachen, Robert Funk sprach in eines der neuen Diktiergeräte, vom Kleinen See her drang sanftes Plätschern, dazwischen immer wieder das Knacken und dumpfe Schlagen der Boote. Schielin ging die Straße entlang bis zu der gekennzeichneten Trasse, die zu dem Toten führte. Die wenigen Nummerntafeln, die im Umfeld des Körpers zu sehen waren, deuteten darauf hin, dass es nicht viele Spuren gab.
    Lydia Naber stand mit Adolf Wenzel ein paar Schritte abseits des Toten, und ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie über etwas nachdachten. Eine junge Ärztin stand an ihrer Seite und wiegte den Kopf. Schielin fragte mit einer Handbewegung an, ob er schon an den Toten herantreten könne. Adolf Wenzel nickte kurz. Niemand sprach ein Wort. Die einzigen Laute waren die Motorengeräusche der Autos, die unablässig über die Inselbrücke fuhren, das sanfte Rauschen des Windes und das leise Plätschern des Sees.
    Schielin ging möglichst nah heran, um die Details zu sehen und dennoch den Überblick zu haben. Er sah den Körper eines groß gewachsenen Mannes, der mit der rechten Körperseite auf der weichen Grasfläche lag. Auch die rechte Gesichtshälfte haftete am Boden. Er hatte kurz geschnittene, braune Haare, trug Jeans, braune Lederschuhe, ein blaues Sweatshirt und einen hellbraunen Trenchcoat. Um den Hals hing ein ockerfarbener Schal. Man hätte meinen können, er schlafe. Nur die unnatürlich verkrümmten Beine und die Lage des rechten Armes, der unter dem

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