Heidenmauer
Körper verklemmt lag, deuteten das Unglück an. Der Mund des Toten war einen Spalt weit geöffnet, die Augenlider hingen bleich über den Augen, die sie nur halb bedeckten. Im linken Ohr war getrocknetes Blut zu sehen. Direkt darüber, vom Hinterkopf bis zum Ansatz der Schläfe, klebten dunkle, fast schwarze Flecken getrockneten Blutes. Feine rötliche Rinnsale leiteten von dort, vorbei an Schläfe und Jochbein, über die Wange zum Mund und weiter zum rasierten Kinn. Auch aus der Nase war Blut gelaufen. Im Gras darunter war nurmehr ein brauner Flecken auszumachen. Am Schal waren klar abgegrenzte Blutflecken zu sehen. Auf dem Mantel obenauf lagen verloren einige erste Blätter des Herbstes. Sie waren noch nicht mal richtig gelb geworden, fiel Schielin auf.
Sein Blick suchte nach der Tasche, von der die Antiquitätenhändlerin gesprochen hatte. Das Stück lag verloren im Gras, etwa zwei Meter entfernt. Es war eine große Umhängetasche und hatte – den Spuren auf dem Leder nach zu urteilen – ihren Besitzer lange begleitet.
Schielin ließ den Blick langsam über den Toten schweifen. Die Schuhe, die Hose, Jacke und Sweatshirt, der Schal – alles wohlgeordnet. Nirgends waren Schleifspuren zu erkennen, selbst die Schuhe hatten keinen Abrieb ins Gras gezeichnet. Die Kleidung sah so aus, wie sie nach einem Sturz auszusehen hatte. Die sichtbare Hand, auf Höhe der Hüfte, war unverletzt. Die Stellen des Körpers, die geblutet hatten, ausschließlich im Kopfbereich, waren seit dem Geschehen nicht mehr berührt worden. Nirgends war verwischtes Blut zu entdecken. Auf den ersten Blick gab es keine andere verletzte Stelle zu erkennen, als jener Bereich des Schädels über dem linken Ohr.
Schielin, der in der Hocke vor dem Toten ruhte, sah zu Lydia und Adolf Wenzel auf. »Tatwaffe?«
Beide schüttelten den Kopf. Lydia beschrieb mit kurzer Handbewegung einen Kreis. »Wir müssen hier noch im weiteren Bereich absuchen, auch im Kleinen See tauchen und in den Booten, die da unten liegen, noch nachsuchen. Eine elende Arbeit. Aber hier im direkten Umfeld war nichts zu finden.«
Er sah zur Ärztin, die ihm sehr jung vorkam. »Todesursache und Zeitpunkt?«
»Ich habe es mehr mit den Lebenden, muss ich Ihnen sagen, sonst wäre ich ja auch Rechtsmedizinerin geworden, und Notarzt fahre ich nur wegen der Kohle.« Sie wies mit dem Kinn zum Toten. »Also vergiftet worden ist er nicht.«
Adolf Wenzel kicherte in den gräulichen Himmel, aber bevor Schielin sich aufregen konnte, kam die forsche Medizinerin an seine Seite und ging ebenfalls in die Hocke. Sie hatte lange, zarte Finger, wie selbst durch die Plastikhandschuhe zu erkennen war. Fast zärtlich strich sie über die Wunde am Kopf. »Im Bereich des seitlichen Schädels auf einer Fläche von etwa zehn mal fünf Zentimetern, längs über dem linken Ohr, deutliche Anzeichen einer multiplen Schädelfraktur.«
Sie sah Schielin an und sagte: »Sehen sie …« Vorsichtig drückte sie auf die Stelle über dem Ohr, und Schielin konnte an der Bewegung der blutig verklebten Haare sehen, wie weich es dort war, wo es doch hart und fest hätte sein müssen. Er verzog das Gesicht und meinte, dass es nun gut sei und sie aufhören könne.
Sie lächelte. »Es muss ein heftiger, gezielter Schlag gewesen sein. Nur ein einziger Schlag. Soweit ich das bisher sagen kann, handelt es sich bei der Tatwaffe um nichts Kantiges, sondern eher um etwas Rundes, das da zum Schlagen benutzt worden ist. Es kann auch nichts Metallisches gewesen sein, denn so, wie sich die Brüche anfühlen, ohne tiefer eingehenden Riss der Schädelhaut, also da schließe ich eher auf etwas Federndes. Ein Holzschläger, vielleicht so in Richtung Baseballschläger. Allerdings ist der etwas zu groß, was den Durchmesser anlangt. Vom Aufschlagwinkel her kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass der Angriff von vorne kam. Genaues wird die Obduktion sicher ergeben. Geht man davon aus, welche Wirkung ein solcher Schlag entfaltet, und betrachtet man die Liegeposition, so würde ich sagen, der Mann ist von der Straße aus in Richtung Wasser gelaufen und der Angreifer kam von der Wasserseite her. Er ist sofort hier zusammengebrochen. Man sieht es ja auch an den Schuhen … keine Bewegung mehr, die Oberfläche des Grases ist völlig unberührt. Er hat mit dem, was ihm geschehen ist, nicht gerechnet, hat nicht versucht, den Schlag mit der Hand oder dem Arm abzuwehren, so wie es natürlich wäre, wenn man noch reagieren kann. Er war wohl
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