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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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da, haben wir Sie nicht hierher kommen lassen.«
    Hedwig Kohler lehnte sich zurück und legte den Kopf etwas schräg. Sie fixierte Lydia Naber. »Ja, ich hatte so etwas wie ein Verhältnis mit Günther Bamm. Wir waren uns allerdings auch einig, dass es bei dieser Art Beziehung bleiben und nichts anderes daraus werden sollte – eine sehr sachliche Vereinbarung zwischen zwei erwachsenen Menschen.«
    Schielin hörte ihren Worten zu und beobachtete diese Frau. Sie erschien ihm so ganz anders, als vor wenigen Tagen in der Wohnung. Heute machte sie einen sehr entschlossenen, selbstsicheren Eindruck, war weder verunsichert noch beeindruckt von der Situation – immerhin einer polizeilichen Vernehmung. Verhielt sich so jemand, der ein reines Gewissen hatte? Er dachte an die Fotos mit dem Regenschirm und fragte sich, worin genau die sachliche Vereinbarung bestanden haben mochte.
    Lydia Naber sagte, ohne dass es sarkastisch klang: »Es ist eine schöne Sache, wenn Sie beide sich einig waren und so nüchterne und sachliche Vereinbarungen treffen konnten. Die Frage für uns lautet jedoch – wusste Ihr Mann davon und sah er es auch so … sachlich?«
    Sie antwortete: »Ja.«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »So wie ich es gesagt habe. Mein Mann wusste davon.«
    »Wovon?«
    »Von meiner sexuellen Beziehung zu Günther Bamm.«
    »Er war damit einverstanden?«
    »Er wusste davon«, wiederholte sie, »Sie können ihn gerne fragen.«
    »Es steht außer Frage, dass wir das tun werden«, sagte Lydia Naber.
    Schielin stieg ein. »Das ist aber auch nicht der Grund, weswegen wir Sie vorgeladen haben, Frau Kohler. Wir haben erfahren müssen, dass Sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben, und zwar das letzte Wochenende betreffend. Sie waren gar nicht bei der Familienfeier auf der Alb. Nein, Sie sind bereits am Sonntag wieder gefahren. Ihren Mann und die Kinder haben Sie erst am Montag wieder abgeholt. Wo waren Sie in der Zeit dazwischen?«
    »Zu Hause.«
    »Zu Hause?«, wiederholte Schielin.
    Sie beugte sich vertrauensselig über den Tisch. »Ja, zu Hause. Mich hat diese ganze Mischpoke so angekotzt, ich kann es Ihnen gar nicht sagen. Ich hab das lange genug mitgemacht, viel zu lange, und am letzten Wochenende, da hatte ich einfach keine Lust mehr darauf. Diese Scheinheiligkeit und Heuchelei hat mich regelrecht angeekelt.« Sie deutete auf das Kuvert, das vor ihr auf der Tischplatte lag. »Mag sein, Sie halten das für moralisch verwerflich. Mir ist es aber seit geraumer Zeit egal, was andere denken. Diese Familienfeier, diese Huldigungsveranstaltung meines Schwiegervaters – das alles ist moralisch noch viel verwerflicher …«
    Sie unterließ es, den Satz mit einem als weiterzuführen.
    Schielin ging mit dem Oberkörper ein Stück nach vorne und sagte: »Die Zeiten, in denen die Polizei Moralbegriffe überwachte, sind Gott sei Dank vorbei. Uns geht es nicht um Moral, sondern um die Aufklärung eines Mordes. Und da geht es immer auch um Gefühle. Alles andere ist für uns nicht von Interesse.«
    Hedwig Kohler redete weiter, ohne auf das Gesagte einzugehen. »Ich bin einfach wieder nach Hause gefahren und wollte mich mit Günther treffen. Er war ein in allen Dingen freier Mensch. Wissen Sie, es hat mich einfach angekotzt, dabei zuzusehen, wie heile Familie gespielt wird, wie erwachsene Menschen, die selbst schon Familien haben, um einen Patron herumkriechen, hündisch, devot und gierig danach, gelobt, beachtet zu werden. Ich konnte es einfach nicht mehr, mich an den Tisch zu setzen und mir dieses Gerede anzuhören, vor allem, wenn man weiß, wie die Lebensrealitäten aussehen. Wenn meine Schwägerin, also die Schwester meines Mannes, gekommen wäre, wäre ich wohl geblieben. Sie ist das schwarze Schaf der Familie. Aber so war und fühlte ich mich alleine und wollte die Veranstaltung nicht stören, keinen Eklat provozieren. Die geringste Beeinträchtigung der Feierlichkeit war es also, einfach wieder zu fahren. Die sollen froh sein.«
    »Wann waren Sie wieder zurück in Lindau?«, fragte Lydia Naber.
    »Sie kennen meinen Schwiegervater nicht, ein selbstgefälliger, selbstgerechter Pascha, eine Zierde der Gesellschaft, Schulrat war er, im Kirchenvorstand, Stadtrat, Rotarier, Rotes Kreuz – das ganze Zeug eben. Immer in der Öffentlichkeit, einmal im Monat musste er in der Zeitung erwähnt werden, und wenn’s nur darum ging, irgendeinem Jubilar gratuliert zu haben. Er ist einer, der keinen Widerspruch duldet, in dessen Denken es gar nicht

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