Heidenmauer
vorkommt, dass es Menschen gibt, die andere Lebensentwürfe haben. Ein scheinheiliger Patron, und es tut weh, zu sehen, wie exakt ihm die Kopien gelungen sind. Diese drei Buben, er und seine Frau, sie reden immer noch von den Buben, und es hat nichts Sentimentales, wenn sie es sagen, verstehen sie. Er nennt seine Frau Muttchen. Grässlich. Ich verachte sie alle.«
Lydia war die Stimmung, in der sich Hedwig Kohler befand, nicht allzu fremd, und sie nutzte die entstehende kurze Pause, um ihre Frage zu wiederholen. »Wann waren Sie wieder zurück in Lindau, Frau Kohler?«
Die Antwort kam prompt. »Am Sonntagabend. Ich habe eine kleine Rundfahrt über den Hegau gemacht, in Überlingen zu Mittag gegessen und einige Male versucht, Günther zu erreichen.«
»Haben Sie sich am Sonntag noch getroffen?«
»Nein. Nicht einmal telefoniert haben wir miteinander.«
»Was haben Sie am Sonntagabend gemacht, ich meine hier in Lindau?«
»Am Abend war ich bei einer Freundin in Reutin, sie wohnt droben im Oberreutiner Weg, direkt hinter dem Friedhof. Ich war da ein paar Stunden, so bis gegen zehn etwa. Sie können sie gerne fragen.«
»Das werden wir machen. Was war, als sie von dort weggefahren sind?«
»Ich bin auf die Insel gefahren und habe im Bayerischen Hof vorbeigeschaut. Günther hatte mir einige Tage zuvor erzählt, dass er sich dort mit jemandem treffen wollte, ich weiß nicht genau, worum es ging, aber ich hoffte jedenfalls, ihn dort zu treffen. Leider wurde diese Hoffnung enttäuscht.«
»Wie lange waren Sie in der Bar?«
»Nur für eine Drink, ein schneller Drink. Ich bin dann direkt nach Hause gefahren. Das war so kurz vor elf.«
Schielin schüttelte den Kopf. »Wieso haben Sie uns das alles nicht schon vorgestern erzählt?«
»Dummheit und Schock. Man sieht es immer in den Krimis, wie blöde sich manche Leute verhalten, und dann passiert es einem selbst. Schon verrückt, oder? Anscheinend lernt man nichts, wenn man das Zeug Woche für Woche sieht. Es hat nichts, gar nichts mit der Realität zu tun.« Sie lachte bitter.
Schielin sah zu Lydia Naber hinüber, die, den Kopf auf ihre Unterlagen gerichtet, fragte: »Hatte Günther Bamm vielleicht noch ein Verhältnis, ich meine, zu einer anderen Frau, vielleicht eine ebenso sachliche Abmachung?« So wie sie die Frage stellte, klang es, als wisse sie mehr.
Es war das erste Mal, dass Hedwig Kohler sich irritiert zeigte. »Nein … nein, jedenfalls nicht, dass ich etwas davon wüsste.«
Lydia Naber nickte, dachte dabei: Aber sicher bist du dir auch nicht, meine Liebe.
Es war deutlich zu spüren gewesen, dass diese Frage Hedwig Kohlers Gefasstheit, wenn auch nur leicht, ins Wanken gebracht hatte. Lydia Naber hakte nach – böse. »Verstehen Sie, Frau Kohler, wenn es zwischen Ihnen und Herrn Bamm eine rein … sachliche … Beziehung war, ist das ja in Ordnung. Aber es könnte doch sein, dass es für Günther Bamm daneben noch eine, sagen wir … Herzenssache … gab.«
Nicht schlecht, dachte Schielin und beobachtete, wie Hedwig Kohler blass wurde. Die schüttelte nur den Kopf. Das böse Wort von der Herzenssache hatte ihr die Sprache verschlagen.
Lydia Naber stellte keine weiteren Fragen und übergab an Schielin, behielt Hedwig Kohler aber in nachdenklichem Blick.
Schielin wollte wissen, was sie zu Hause gemacht habe, ob sie jemand gesehen oder ob sie vielleicht telefoniert habe. Nein, sie wusste nicht, wer sie gesehen haben könnte, und telefoniert hatte sie auch nicht, lautete die lakonische Antwort. Sie habe Fernsehen geschaut und sei auf dem Sofa eingeschlafen. Das war alles, was sie zu der Sache noch sagen konnte.
Die Tür ging auf, und Erich Gommert steckte den Kopf durch den Spalt. »Ein Doktor Heinrich Rubacher wäre da, hat eine grausige Narbe im Gesicht hängen. Er ist irgendwie … ungehalten.«
»Der soll ruhig ein paar Minuten schmoren«, meinte Schielin und wartete ab, ob Hedwig Kohler vielleicht doch noch etwas einfiel. Er stand auf und ließ sie mit Lydia Naber allein. Vielleicht war sie dann etwas gesprächiger.
Doktor Heinrich Rubacher war nicht der Situation wegen ungehalten. Das Abweisende und Unhöfliche war vielmehr der Humus, aus dem sein gesamtes ruppiges Verhalten erwuchs. Er war ein ganz und gar unangenehmer Mensch.
Schielin bat ihn in Wenzels Büro, das immer sehr aufgeräumt war und im Moment Platz und Raum für die Anhörung bot.
Jasmin Gangbacher kam dazu und setzte sich auf einen Stuhl in die hinterste Ecke. Rubacher sah sie
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