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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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entschuldigte sich mit einer Geste bei Mirabeau Sehender.
    Er kam ohne weitere Umschweife zur Sache. »Günther Bamm hatte an jenem Sonntag, an dem Sie sich zum letzten Mal gesehen haben, eigentlich einen Termin mit einem Londoner Kunsthändler. Die beiden waren im Hotel Bayerischer Hof miteinander verabredet, um halb zehn. Wussten Sie davon?«
    Sie überlegte. »Nein, davon ist mir nichts bekannt.«
    »Ich frage nur, weil ich der Ansicht bin, dass Günther Bamm seine Termine sicherlich nicht einfach so hat platzen lassen.«
    »Das auf keinen Fall. Er war sehr gewissenhaft«, versicherte sie.
    »Er ist erst mit dem Eurocity um dreiviertel zehn aus München gekommen. Was mich beschäftigt, ist die Frage, aus welchem Grund er nicht in den Bayerischen Hof gegangen ist, der ja nur ein paar Meter vom Bahnhof entfernt liegt. Ist er gleich zu Ihnen?
    Sie musste nicht lange überlegen. »Ja, sicher. Vom Bahnhof zu mir, das sind zu Fuß knappe zehn Minuten. Das würde passen.«
    »Mhm. Dass er den Termin einfach so hat sausen lassen, wundert mich schon sehr. Er hätte doch einfach nur mit dem Handy anrufen müssen,«
    Sie zuckte mit den Schultern und überlegte.
    »War es denn ein überraschender Besuch an diesem Sonntagabend, oder hatten Sie sich vorher verabredet.«
    »Ich hatte ihn angerufen, am späten Nachmittag. Er war in München am Hauptbahnhof, man hat sich kaum verstehen können, bei dem Lärm, das Quietschen der Bremsen, die Durchsagen, all diese Geräusche eben. Ich fragte, ob wir uns am Abend noch sehen könnten, und er sagte sofort zu … und das ist schon seltsam, wo er doch diesen anderen Termin hatte.«
    »Verhielt er sich denn in irgendeiner Weise anders als bei Ihren sonstigen Treffen, hat er Ihnen etwas erzählt von seinem Aufenthalt in München?«
    Sie legte den Kopf etwas schräg. »Bei unseren Treffen, wie Sie es formuliert haben, ging es eigentlich nie um unsere Berufe.«
    »Eigentlich?«
    »Ja … eine Ausnahme gab es da, die hat aber nichts mit diesem Abend zu tun.« Sie überlegte. »Er kam, und … es war eigentlich wie immer. Er war sehr viel unterwegs in letzter Zeit, das weiß ich. Weswegen er in München war, kann ich nicht sagen. Eines aber ist mir aufgefallen. Als er hier angekommen war, sagte er etwas, was für mich keinen Sinn ergab. Er sprach von einem Linsengericht, das jemand teuer bezahlen sollte. Es war mir aufgefallen, weil er sonst kaum biblische Bezüge herstellte.«
    Schielin sah sie fragend an. »Linsengericht? Meinte er die Geschichte von Esau und Jakob.«
    »Sicher. Ich habe aber nicht nachgefragt, es hat mich an diesem Abend nicht interessiert.«
    »War er sonst irgendwie verändert?«
    Mirabeau Sehender dachte nach, und es dauerte eine Weile bis sie antwortete. »Also jetzt, wo Sie mich so danach fragen … er war sicher anders an diesem Abend, anders als sonst.«
    »War er nervös oder aufgebracht …?«
    »Nein, nein. Es war eher eine gewisse Abwesenheit. Er war nicht so ganz bei mir wie sonst immer. Vielleicht etwas unkonzentriert.«
    »Er war also mit seinen Gedanken woanders.«
    »Ja, das war wohl so.«
    »Und das war sonst nicht so.«
    »Nein, das war sonst nicht so. Aber es ist so, dass ich mir erst jetzt über diesen Abend Gedanken machen kann, ohne dieses Angstgefühl.«
    »Wir haben in seiner Wohnung Fotos gefunden …«
    »Ich kenne seine Wohnung nicht«, sagte Mirabeau Sehender zu Schielins Überraschung. Sie lachte verhalten, als sie seinen verdutzten Blick sah. »Ja, es ist so. Wir haben uns immer nur bei mir getroffen. Ich wollte seine Wohnung gar nicht sehen.«
    Schielin räusperte sich. »Wir haben dort Fotos gefunden, auf denen eine … andere Frau abgebildet war.«
    »Mhm. Wahrscheinlich diese Frau aus dem Haus, die Lehrersfrau.«
    Schielin musste sich beherrschen, dass ihm nicht die Kinnlade herunterfiel.
    »Also, von der wissen Sie?«
    »Ja. Ich weiß von ihr. Sie brauchen nicht zu fragen – es hat mich nicht gestört, denn diese Beziehung ging nicht von Günther aus.«
    »Ich habe allerdings auch nicht den Eindruck gewonnen, dass Günther Bamm unter Zwang stand. Mhm. Wie würden denn Sie diese Beziehung beschreiben?«
    »Es war sicher keine ernsthafte Beziehung, wenn Sie darauf hinauswollen.«
    »Mhm. Sie sind sich da sicher?«, fragte er vorsichtig und dachte an Hedwig Kohler, für die Günther Bamm sicher eine Herzensangelegenheit war, wie es Lydia ausgedrückt hatte. Mirabeau Sehender strich behutsam über ihre rechte Wange. »Ja. Ganz sicher.

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