Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
Vom Netzwerk:
– er hörte den Texten nicht ungern zu. Heute allerdings nicht, auch wenn er zwischendurch meinte, neben den aggressiven Geräuschen sanfte Klänge zu hören und die Stimme von Karel Gott, aber das konnte ja schlechterdings sein. Heute jedenfalls reichte es, und er hatte tagsüber genug mitbekommen vom richtigen Leben.
    Marja war auch nirgends zu sehen. Sicher hatte sie sich irgendwo in schalldichte Sicherheit gebracht.
    Die beiden Mädchen waren sehr dünn, fiel ihm auf, sehr dünn. Er schlüpfte in die Eselsklamotten und ging hinüber zur Weide.
    Etwas war anders heute, stellte er beim Näherkommen fest. Die zwei Friesen standen bewegungslos am Rande des Holzzauns und hatten die Köpfe neugierig zur Mitte der Koppel hin gerichtet. Ronsard musste da hinten am Apfelbaum stehen, war aber von den schwarzen Leibern seiner Weidegenossen verdeckt. Nach wenigen Schritten erkannte Schielin seinen Nachbarn Albin Derdes, der in der Weide stand. Neben ihm Ronsard, den Kopf erhoben, die Ohren nach vorne gereckt und Schielin fixierend. Vor den beiden stand ein Holzschemel, und Derdes hielt in der rechten Hand eine Karotte. Er winkte fröhlich. »Schaut doch schon ganz gut aus, oder?«
    »Was schaut gut aus?«, fragte Schielin mit mürrischem Gesicht. Ihm erschien das, was sich da abspielte, sonderbar.
    »Ja, wie er da steht, der Ronsard«, ließ sich Derdes nicht beirren.
    »Es ist ein Esel, Albin, er steht immer so da. Aber was treibst du bitte da drinnen, und was soll dieses Holzgestell?«
    Er öffnete den Zugang und ging langsam auf die beiden zu.
    »Wir üben«, erklärte Derdes.
    »Was?«, fragte Schielin unfreundlich.
    »Lebendkrippe, wir üben für die Lebendkrippe, ich hab’s dir doch erzählt.«
    Schielin blieb stehen. »Was gibt es dafür bitte zu üben?«
    »Ja, er soll schon anständig hinstehen an die Krippe.« Derdes deutete auf das Holzgestell, das wohl die Krippe simulieren sollte. »Und wie auf den alten Bildern sollen Ochs und Esel ja net irgendwie in der Gegend rumschauen, sondern aufs Jesuskindlein.«
    »Jesuskindlein«, wiederholte Schielin sarkastisch, »Jesuskindlein. Hast du dich darum eigentlich auch so rechtzeitig gekümmert? Wer hat sich denn zur Verfügung gestellt?« Derdes winkte unbeeindruckt ab.
    Schielin legte Ronsard die Führungsleine um, tätschelte ihn am mächtigen Schädel, gleich hinter den Ohren, und rieb ihm dann die Nase. »So! Genug Lebendkrippe geübt, für heute.«
    Und auf Derdes gemünzt sagte er: »Du trainierst doch sicher auch den Ochsen, mach für heute halt mit dem weiter.«
    »Du wirst schon sehen«, rief Derdes den beiden nach und packte den Schemel ein, »das wird ein großer Erfolg, ein großer Erfolg! So was hat es in Lindau noch nicht gegeben.« Davon war Schielin überzeugt.
    »Hirten brauchten wir noch, Conrad, Hirten!?«, hörte Schielin es rufen. Er fragte laut in den Himmel hinein: »Habt ihr denn überhaupt schon einen?«
    »Ja sicher.«
    »Und wen?«
    »Den Josef … du wirst sehen, der macht das wunderbar.«
    Schielin fragte: »Wir meinen beide den gleichen, oder?«
    »Ich denke schon.«
    »Das wird sicher ein großer Erfolg, wenn er einen guten Tag erwischt, der Josef. Wenn aber nicht, dann viel Freude.
    Übrigens, nur dass du es vorher gesagt bekommst – Ronsard ist ein Esel. Er interessiert sich nicht fürs Jesuskindlein und auch nicht für adventliche Inszenierungen. Wenn ihm danach ist, läuft er einfach los, kaut am Mantel einer Besucherin oder frisst den Weihnachtsbaum einfach an. Denk also bitte daran.«
    Albin Derdes legte etwas an Geschwindigkeit zu, um aufzuschließen. »Wir haben das im Griff, alles kein Problem. Nächste Woche ist Probe.«
    Schielin lachte böse und zog los. Er winkte zum Abschied, ohne sich umzudrehen, sog die abendliche Luft ein und nahm den Weg hinunter nach Reutin. Am Bräustüble bog er links ab, erreichte durch die Senke den Oberreutiner Weg, von wo er nach links schwenkte, vorbei an den letzten Häusern und hinaus in freies Gelände.
    Es ging leidlich bergan. Links und rechts der Straße erstreckten sich Obstgärten und zwischen Teer und den Stämmen ein breiter Streifen weichen Grases, auf dem sich herrlich gehen ließ. Noch vor den ersten Häusern von Streitelsfingen wandte er sich nach rechts und querte den Hang, immer den Blick auf den See. Von Bregenz her und den Hügeln über Rorschach blinkten bereits die ersten Lichter. Ab und an blieb er stehen und genoss das Panorama. Langsam fiel der Druck des Tages von ihm ab.

Weitere Kostenlose Bücher