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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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die Königin der Nacht und bekommt dafür Kost und Logis.«
    »Ein Versicherungsvertreter fängt ja schließlich auch so was wie Vögel.«
    »Aber nicht für Kost und Logis.«
    »Ist ja wurscht. Jedenfalls – vorne rechts, da war so ein Betonmischer gestanden, so ein kleiner, wie mer die halt hat … so für Mörtel, Speis und so. Der hat sich die ganze Zeit über gedreht. Der Moser Otto, der war ja lange am Bau, der war so schräg hinter mir gesessen und hat dann irgendwann gemeint, dass in der Maschine niemals ein richtiger Speis wäre, das würde er hören.«
    »Du bist sicher, dass es die Zauberflöte war?«, fragte Schielin.
    Albin Derdes ging gar nicht darauf ein. »Der Versicherungsvertreter und die Soldatin, die …«
    »Welche Soldatin?«
    »Ja, die hat halt so eine Uniform angehabt und ein Gewehr dabei, und schön gesungen hat die, ach war des schön, mitsamt dem Gewehr.«
    »Mhm.«
    »Also jedenfalls sind die zwei immer um des verbrannte Auto herum und haben gesungen – und dann …«, er machte ein Pause und schrieb mit der Hand einen Strahl in den Himmel, »dann sind do immer so drei nackerte Weiber über die Bühne gesprungen, ein paar Mal.«
    Schielin sah ihn fragend an. »Zauberflöte?«
    Derdes nickte ernst.
    »Vielleicht waren die drei die Entsandten der Königin der Nacht?«, meinte Schielin fragend.
    »Königin der Nacht? Na ja, aber jetzt fällt mir auch dieses Wort wieder ein. Danach hat unser Reiseleiter, der war übrigens aus Wohmbrechts und ist da auch so in der Kultur und so, der hat jedenfalls gesagt, es sei ein neumodischer Adapter gewesen.«
    »Du meinst eine moderne Adaption des alten Stoffes.«
    »Oder so.«
    »Mhm.«
    »Jedenfalls diskutieren wir jetzt.«
    »Wer diskutiert, und – worüber?«
    »Ob wir für die Lebendkrippe auch so was machen sollen, so eine Adaption.«
    Schielin ahnte Schlimmes. »Worum dreht sich denn die Diskussion konkret?«
    »Ja, also – eher so grundsätzlich.«
    »Ein Kindlein in der Krippe soll aber schon noch dabei sein.«
    »Des scho.«
    »Ochs und Esel?«
    »Auch, natürlich, die gehören ja dazu.«
    »Worum soll es denn dann gehen?«
    »Ja um des Drumherum.«
    Schielin entschlüpfte ein »Ohje, ohje. Sollen vielleicht drei nackerte Frauen zwischen Hirten und Viechern herumspringen, oder was?«
    »Neiiin.« Derdes fühlte sich eindeutig falsch verstanden.
    Schielin wollte es aber so verstehen. »Dann stellt halt eine Betonmischmaschine neben die Krippe.«
    »Neiiin, es soll schon einen Bezug zu Weihnachten haben.«
    Schielin überlegte, in welcher Weise ein ausgebranntes Auto, eine Mischmaschine, eine Soldatin und ein Versicherungsvertreter mit dem Stoff der Zauberflöte in Verbindung gebracht werden konnten.
    Er wechselte das Thema. »Wo soll es denn genau … stattfinden, euer Krippenprojekt?«
    »Wir wandern.«
    Schielin sah seinen Nachbarn fragend an. »Wohin wandert ihr?«
    »Am ersten Adventswochenende sind wir im Zech draußen, dann kommt Reutin, vorm alten Rathaus, hintennach dann Aeschach und an den Feiertagen auf der Insel, so zwischen Stiftskirche und Stephan.«
    Schielins Gesichtsausdruck ließ nicht erkennen, ob er beeindruckt oder betroffen war. Er sagte mit ruhiger Stimme. »Albin, macht meinetwegen so viel Adapter wie ihr wollte, aber mach mir bloß meinen Esel nicht zum Affen, klar!«
    Albin Derdes stimmte zu. Auch er schien zu ahnen, dass das Projekt Lebendkrippe begann, sich in krakenhafter Weise zu verselbstständigen. Aber vielleicht war das so, mit der Kunst.

St. Margrethen
    Eine gleichförmige Wolkendecke hatte sich während der Nacht verstohlen über den See und alle Ufer geschoben. Das Grau changierte zwischen hellen und dunklen Tönen und machte es der Morgendämmerung schwer, den Tag auf die Welt zu bringen. Schielin war als Erster aufgestanden und hatte bemüht leise den Frühstückstisch gedeckt. Die letzte Tasse Kaffee trank er stumm in Marjas Beisein. Dann verabschiedete er sich und rollte den Motzacher Weg hinunter, vorbei am Bräustüble, passierte die Kemptener Straße und gelangte durch die Hundweilerstraße zur Seebrücke.
    Die Wolkendecke hatte einen grauen Schleier über alles gelegt, und einhergehend war auch eine friedlose Stille eingezogen. Der Gang des Sees war ruhiger geworden, Vögel waren nicht zu hören, und selbst die Geräusche der Motoren schienen gedämpfter. Und doch lag eine unergründliche Unruhe in der Luft, wie Schielin fand. Auf der Seebrücke erfassten ihn zwei leichte Böen, die aber nur ein

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