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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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wurden. Das war alles, was in dem Büro gesprochen wurde. Überhaupt hatten auch der Tote und seine noch unbekannte Geschichte die Sprachlosigkeit nicht vertreiben können, die seit dem Morgen auf dem Gebäude und allen darin Verweilenden wie eine matte Krankheit lag.

    Ein erster Druck auf die Tastatur des Handys ließ das Display aufleuchten und forderte dazu auf, die Tastatursperre zu lösen. Eine PIN-Abfrage stellte sich nicht in den Weg. Das Lautlos-Profil war eingestellt, daher hatten sie es also nicht klingeln hören.
    Er notierte zunächst die fünf Telefonnummern, die Günther Bamm zuletzt gewählt hatte, danach die Nummern der angekommenen Anrufe. Im Ordner für eingehende SMS fand sich nichts Aufregendes. Offensichtlich simste er intensiv mit seiner Tochter. Den Ausdrücken, die sie verwendete, und den Themen, um die es ging, nach zu urteilen, musste sie so etwa in Lenas Alter sein.
    In einem Karton im Asservatenraum suchte er nach einem passenden Netzteil für das Handy und hängte es dran. Dann wandte er sich den anderen Fundstücken zu. Bei den drei vergilbten Heften handelte es sich um Abhandlungen von einem Professor Dr. Ludwig Armbruster. Sie waren allesamt Anfang der Fünfzigerjahre erschienen und beschäftigten sich mit der Kulturgeschichte Lindaus und der des Bodensees. Er blätterte die Hefte durch und legte sie dann zur Seite.
    Auf dem Speicherchip der Digitalkamera waren keine verwertbaren Fotos zu sehen, nur zwei verwaschene Nachtaufnahmen, die einen Parkplatz zeigten. Das Diktiergerät gab nicht einmal ein Rauschen von sich. Er hörte in die Stille digitaler Aufzeichnungstechnik. Das schwarze, gebundene Notizbuch war voller Einträge. Es handelte sich um eine regelrechte Rumpelkammer aus Vermerken, Zeichnungen, Strichmännchen, Nummern, die alles hätten bedeuten können, eingeklebten Visitenkarten und Fußnoten. Auf fast jeder Seite klebte ein Post-it, und immer wieder lagen ausgeschnittene Zeitungsartikel zwischen den Seiten. Schon beim losen Durchblättern wurde deutlich, dass es ein schier unmögliches Unterfangen war, all das heute noch zu sichten, insbesondere dazu mit dem Ziel, Erkenntnisse für den Fall ableiten zu können.
    Ähnlich chaotisch, wohl einem geheimen Code folgend, den nur der Besitzer zu entschlüsseln wusste, war der Terminplaner angelegt. Abkürzungen überall. Kaum Klarnamen. Schielin legte den Planer beiseite und flüchtete vorerst in die sicheren, eingeübten Rituale der Formalitäten – fotografierte die einzelnen Stücke, beschriftete Formulare und Etiketten, vergab Asservatennummern und legte alles in einer blauen Plastikkiste ab.
    Spät in der Nacht kam ein Anruf von der Polizeiinspektion drüben. Sie hatten gesehen, dass noch Licht im Büro brannte. Man hatte das Auto gefunden, einen blauen Renault Scenic, auf der Insel, hinter der Stephanskirche.

Ginkgo
    Er war früh aufgestanden am nächsten Tag und hantierte alleine in der Küche. Ein Blick aus dem Fenster schien es möglich zu machen, ohne Sturmausrüstung mit dem Fahrrad fahren zu können. Die Blätter an den Bäumen wehten munter im Morgenwind. Er hatte schlecht geschlafen, und Ronsard hatte in der Nacht zweimal dermaßen laut getutet, als hätte er einer Eseldame in Rorschach etwas ungemein Wichtiges mitteilen wollen.
    An der Ampel zur Kemptener Straße, auf Höhe der Weinstube Reutin, erwischte ihn eine erste Böe, bis zum Kreisverkehr schaffte er es, den über den Schönbühl hereinbrechenden schwarzen Wolken zu entkommen. Dann wurde es wieder dunkel, und das kurze Stück bis zur Dienststelle reichte, um ihn klatschnass werden zu lassen. Wenigstens das Schweigen hatte der Regen vertrieben. Adolf Wenzel begrüßte ihn mit einem freundlich-gehässigen Grinsen, Erich Gommerts Schimpfen über irgendein Gelump drang aus dem Besprechungszimmer, und die Tür zu Kimmels Büro stand auch schon offen. Kimmel telefonierte gerade, mit wem auch immer zu dieser frühen Zeit, und signalisierte mit zwei kurzen Handbewegungen, dass Schielin erstens dableiben und zweitens die Tür schließen solle.
    »Was war denn gestern los mit dir?«, fragte er, als Kimmel aufgelegt hatte.
    Der winkte ab. »Ich hatte einen blöden Untersuchungstermin gestern. Ist mir in letzter Zeit nicht so gut gegangen, ständig hatte ich diese Schmerzen. Weißt du, es ist so seltsam, da zieht und zupft es mal hier mal da, man gewöhnt sich daran und nimmt es, wie es ist. Doch dann ist da plötzlich eine Art von Schmerz, gar nicht mal so heftig,

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