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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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beim Denken lallen. Das Einzige, was mir noch im Kopf rumging, war, dass ich vielleicht Glück haben würde und der Halsreif mir das Bewusstsein raubte, ehe mich die Flammen erfassen konnten.
    Ich wusste nicht, wie lange der Weg zum Marktplatz gedauert hatte und ob ich mich gewehrt hatte, als man mich auf den Scheiterhaufen geschleift und an einem Pfahl inmitten der aufgeschichteten Hölzer festgebunden hatte. Aber bestimmt hatte ich nicht versucht, mich zu widersetzen, denn der Würgegriff des Halsreifs hatte mich inzwischen völlig wehrlos gemacht. Ich hörte meinen schweren Atem laut in meinen Ohren dröhnen, und mein Blick trübte sich zunehmend. Wie durch einen schwarzen Gazeschleier sah ich Dorothea dicht neben mir stehen, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und vor Verzweiflung schluchzend. Mühsam wandte ich den Kopf, um etwas Tröstendes zu sagen, doch aus meiner Kehle drang nur ein kratziger Laut. Der Fluch des Halsreifs würde seine schreckliche Bestimmung bald vollendet haben. Außer uns war noch eine dritte Person an einen der Pfosten gefesselt. Sie war vornübergesunken, und ihr Kinn ruhte auf ihrer Brust. Es war eine ältere Frau. Weißes Haar hing ihr ins Gesicht. Sie gab keinen Laut von sich. Das musste Grete sein, Dorotheas Nachbarin, die den Bannfluch ausgesprochen hatte, der nun auch mich töten würde. Und plötzlich erinnerte ich mich, dass ich sie schon einmal gesehen hatte: am Zaun von Dorotheas Kräutergarten, als ich nach meiner verschwundenen Freundin gesucht hatte. Damals hatte ich weder gewusst, wer Grete war, noch, dass sie den Kupferschmuck verfluchen würde, den ich trug. Und nun war es zu spät, noch irgendetwas am Lauf der Dinge zu ändern oder die alte Frau zu bitten, den Fluch zurückzunehmen. War sie überhaupt noch am Leben?
    Von fern sah ich zwei rote Streifen. Der eine war die Morgenröte, die wie ein träges Reptil den nachtschwarzen Horizont hinaufkroch, um den Himmel mit ihrem Feuerglanz zu überziehen. Die andere flackerte unruhig und kam stetig näher. Es waren die Knechte und Wärter des Fürstbischofs, die brennende Fackeln trugen. Mit ihnen würden sie in Kürze den Scheiterhaufen entzünden.
    Ich schloss die Augen. Der Halsreif schnitt wie ein Draht in meine Kehle, und jeder Atemzug brannte wie Säure. Es war ein Kampf um jedes kleine bisschen Sauerstoff, und ich spürte, dass ich ihn bald verlieren würde. Die Gedanken schwappten durch meinen Kopf wie träge Nordseewellen an einem windstillen Tag auf den Sylter Strand. Ich konnte sie weder steuern noch festhalten: Meine Mutter, die mir ihre kühle Hand auf die Stirn legt, als ich mit Fieber im Bett liege.
    Die Stimme meines Vaters, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und mich fragt, wie es in der Schule war.
    Die warme Teerpappe unter meinen bloßen Füßen, nachdem ich mit meiner Freundin aus Berlin verbotenerweise auf das Flachdach ihres Elternhauses geklettert bin, um dort eine geklaute Zigarette zu rauchen.
    Eine Möwe, die ihre Flügel spreizt und sich in den Himmel erhebt. Dort schwebt sie, weiß, so weiß gegen den blauen Himmel, der plötzlich schwarz wird …
    Auf einmal zerrte etwas an mir, und ich wurde unsanft geschüttelt, während sich um mich herum Geschrei erhob, als wäre ich auf einem Open-Air-Konzert mit Lady Gaga …
    »Cat, Cat, hörst du mich? Öffne die Augen!«
    Ich kannte diese Stimme. Jakob!, dachte ich. Was für ein schöner Traum. Nun würde mich der Klang seiner Stimme in den Tod begleiten …
    Unsanft klatschte eine Hand erst auf meine rechte, dann auf die linke Wange.
    »Aua!«, krächzte ich empört und riss die Augen auf. Kein Traum, dachte ich benommen. Jakobs Gesicht war nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt.
    »Cat, bitte – sei am Leben!«, rief er, und in seiner Stimme schwang so viel Angst mit, dass ich trotz meines benebelten Zustands beschloss, ihn nicht zu enttäuschen.
    Mühsam, als würde er zwei Zentner wiegen, hob ich meinen Kopf und blickte Jakob an. »Bin … okay«, brachte ich krächzend heraus.
    »Cat, gottlob, ich dachte schon …«, rief er, und die Erleichterung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen.
    Ich wollte ihm sagen, dass er sich umsonst freute. Dass das Halsband mich töten würde, aber ich brachte nur ein jämmerliches Ächzen heraus. Obwohl ich nur mit Mühe die Augen offen halten konnte, nahm ich wahr, dass sich die Menge mit den Henkersknechten vor dem Scheiterhaufen versammelt hatte. Allerdings machte niemand Anstalten, die

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