Heike Eva Schmidt
Als sie wiederkam, sah es aus, als sei sie auf Beutezug in einer Baumschule gewesen: Sie hatte verschiedene trockene Zweige und Blätter zu einem Bündel geschnürt, deren Spitzen sie nun vorsichtig mit einem Streichholz zum Glimmen brachte. Augenblicklich erfüllte ein würziger Duft das Zimmer. Auf meinen fragenden Blick hin sagte Margret Hahn kurz angebunden: »Gartenraute, Wacholder, Zeder und Lorbeer. Hilft gegen Schwarze Magie.«
Ihr Ton signalisierte mir überdeutlich, dass weitere Fragen unerwünscht waren, also hielt ich wohlweislich den Mund. Die alte Frau schloss die Augen und begann, mit monotoner Stimme zu sprechen: »In die Tiefen der Erde, in die Höhen des Himmels. Nach Osten, nach Westen, nach Süden, nach Norden. Ich rufe die Kraft des Windes, des Feuers, des Wassers, der Erde …«
Die Worte lullten mich ein, ich fühlte mich plötzlich schläfrig und auch etwas schwindelig, wie nach zwei Rum-Cocktails kurz hintereinander. Alles fing leicht an zu schwanken. Mein letzter Gedanke war: Fühlt sich an wie bei einer Bootsfahrt auf einem bewegten See. Mit einem Joint. Dann wusste ich nichts mehr.
Als ich wieder zu mir kam, blickte ich direkt in die Husky-Augen von Margret Hahn. Ich rappelte mich auf.
»Wow, das war echt abgefahren«, murmelte ich. »Aber vielen Dank für Ihre Hilfe!«
Die alte Frau blickte mich ernst und besorgt an. »Ich fürchte, ich konnte dir nicht helfen, Caitlin«, sagte sie leise.
Ich brauchte geschlagene drei Sekunden, bis ich kapierte. Dann schnellte meine rechte Hand an den Hals. Und dort lag das Kupferhalsband, unversehrt und unerbittlich. Eine lähmende Angst erfasste mich. Als würde ich in einem Moor versinken und könnte mich nicht mehr rühren, während der unerbittliche Sog mich hinunterzöge und das Brackwasser in meinen Mund und meine Nase drang, so dass ich weder schreien noch atmen konnte …
»Aber … was soll ich denn jetzt machen?«, rief ich verzweifelt und hörte selbst, wie schrill und hysterisch meine Stimme klang.
Margret Hahn knetete ihre von Altersflecken übersäten Hände, deren Finger erstaunlich lang und schlank waren.
»Kind, wenn ich das wüsste! Ich bin genauso ratlos wie du. Das Einzige, was ich weiß, ist: Dich hat kein herkömmlicher Fluch getroffen. Es muss etwas sehr Mächtiges sein, das sich so leicht nicht lösen lässt.«
Vor lauter Panik fing ich an zu weinen. »Mann, da muss es doch irgendeine Möglichkeit geben! Ich meine – ich kann doch nicht mit diesem verdammten Schmuck herumlaufen, bis ich 90 bin!«
Bei dem Gedanken, dass mich der Halsreif durch mein restliches Leben begleiten sollte, wurde mir heiß, und eine irrationale Wut breitete sich in mir aus. Auf Sina, die mich in den Drudenkeller gelockt hatte, aber auch auf mich selbst und meine vermaledeite Neugierde, die mich in dieses Mauerloch hatte greifen und den Halsreif herausnehmen lassen.
»Außerdem hab ich keinen Bock, noch mal irgendwo im Mittelalter zu landen und bei ’ner Hexenverbrennung zuzuschauen«, sagte ich schniefend und fügte sauer hinzu: »Daran war auch dieser dämliche Schmuck schuld.«
Vielleicht kann ich in Zukunft ja alles auf den Halsreif schieben, dachte ich grimmig und musste wider Willen grinsen. Schlechte Noten, unglückliches Verliebtsein, Zoff mit meinen Eltern … Plötzlich bemerkte ich, wie die alte Frau mich aufmerksam, beinahe alarmiert, ansah.
»Was hast du da eben gesagt?«, fragte sie.
Energisch wischte ich mir über die Augen und erzählte ihr, wie ich plötzlich mitten in einem völlig veränderten Bamberg gelandet war. »Und meine Klamotten waren total im Ar… ich meine, sie waren ziemlich kaputt.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Margret Hahn, und ich berichtete ihr meine Erlebnisse. Angefangen bei den seltsam gekleideten Leuten mit ihrer gestelzten Ausdrucksweise bis zu dem brennenden Scheiterhaufen mit den drei angeklagten Hexen.
»… Und dann ist mir schwarz vor Augen geworden. Als ich aufgewacht bin, lag ich in meinem Zimmer. Und seitdem kriege ich den Halsreif nicht mehr ab«, schloss ich meinen Bericht.
Margret Hahn hatte schweigend zugehört. Nur die Tatsache, dass sie ihre Nasenwurzel heftig mit Daumen und Zeigefinger hin und her rieb, verriet ihre Anspannung. Minutenlang sprach sie kein Wort.
»Was?«, rief ich schließlich ungeduldig.
Die Spannung in der Luft war fast greifbar, wie bei einem Gewitter, kurz bevor der Blitz einschlug. Langsam hob sie den Kopf und ihre Eisgletscheraugen blickten mich
Weitere Kostenlose Bücher