Heike Eva Schmidt
an.
»Woher willst du wissen, dass es nur ein Traum war?«, fragte sie langsam.
Ich musste sie wohl mit offenem Mund angestarrt haben, denn sie tätschelte mir beschwichtigend die Hand, als wäre ich eine Katze, die gleich eine fiese Impfspritze bekommen würde. Dann sagte sie: »Ich glaube, du warst wirklich dort. Im Bamberg des 17. Jahrhunderts, zur Zeit der Hexenprozesse.«
Ihre Worte jagten mir einen eiskalten Schauer über den Rücken, und eine seelenlose Kälte kroch meine Wirbelsäule entlang. Doch mein Verstand weigerte sich hartnäckig, diese Möglichkeit zu akzeptieren. »Sie glauben aber nicht im Ernst, dass ich durch die Zeit gereist bin, oder?«, sagte ich ungläubig. »Ich bin doch nicht Mister Spock, und wir sind nicht in ’nem schlechten B-Movie, sondern in der Wirklichkeit!«
Sie nickte, ehe sie bedächtig weitersprach: »Aber dass du jetzt einen Reif am Hals hast, den weder du noch ein anderer dir abnehmen kann, ist auch die Wirklichkeit. Vielleicht wirbelt der Fluch ja das, was wir Realität nennen, durcheinander. Und damit sind auch die Grenzen von Zeit und Ort aufgehoben.«
Ich hörte ein leises Klappern und bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass es meine Zähne waren, die da heftig aufeinanderschlugen. Margret Hahn ging zum Tisch und kam mit einer neuen Tasse dampfenden Tees zurück. Energisch drückte sie mir den Porzellanpott in die Hand. Am liebsten wäre ich für immer hier sitzen geblieben, beide Hände um den tröstlich warmen Becher geklammert – ein Rettungsanker, der mich davor bewahrte, in diesem Alptraum zu versinken.
»Deine Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen, ist vielleicht Teil des Fluchs, Caitlin. Aber genau das könnte auch deine Chance sein«, sagte die Alte eindringlich.
Über die Tasse hinweg sah ich sie an. Dampf, der von dem heißen Tee aufstieg, waberte zwischen uns, so dass die Konturen ihres Gesichts verschwammen. Fast so wie damals Zeit und Raum, als ich das erste Mal in den purpurschwarzen Strudel gezogen wurde. Trotzdem verstand ich nicht, was sie mit »Chance« meinte.
Ihre hellen Glasperlenaugen ruhten unverwandt auf mir. »Wahrscheinlich wurde vor Jahrhunderten eine Frau mit magischen Kräften im Drudenhaus eingekerkert, die den Kupferhalsreif mit einem Bann belegt hat«, sagte sie. »Deine einzige Chance, den Fluch zu lösen, ist, diese Frau zu finden.«
Mir stockte der Atem. Wie sollte ich das anstellen? Allein beim Gedanken daran, noch einmal in dieses düstere Zeitalter zurückzumüssen, verkrampfte sich mein Körper vor Widerwillen. Außerdem: Wie sollte ich ausgerechnet die Frau finden, die den Schmuck verflucht hatte? Und auch noch, bevor sie im Kerker gelandet war? Diese Aufgabe erschien mir wie ein hoher, unbezwingbarer Berg. Ich würde es nicht schaffen! Verzagt schüttelte ich den Kopf. Da spürte ich, wie sich zwei Hände auf meine Schultern legten. Margret Hahn hatte mich gepackt und schüttelte mich sanft, aber energisch, als wollte sie mich aus einem tiefen Schlaf holen.
»Finde sie, Caitlin. Und bewahre sie vor ihrem Schicksal. Sonst wirst du niemals wieder frei sein!«
Kapitel 6
I n meinem Zimmer sah es aus, als habe »Hurrikan Katrina« darin gewütet. Und so ähnlich war es ja auch, dachte ich und sah mich um. Bei meiner hektischen Suche hatte ich meine Klamotten in einem wilden Durcheinander über den Boden und den Sessel verstreut. Auf meinem Schreibtischstuhl lag ein weißes Longsleeve, dessen Ärmel wie eine kraftlose Gespensterhand von der Lehne baumelte.
Weil ich keinen Schimmer hatte, wie ich noch einmal in die Vergangenheit reisen sollte, hatte ich es für das Schlaueste gehalten, einfach alles genauso zu machen wie beim ersten Mal im Drudenverlies. Den Halsreif trug ich ja bereits – wenn auch unfreiwillig. Jetzt hatte mir nur noch dieses seltsame Gedicht oder Gebet gefehlt. Als das ausgefranste Stück Leder vor meinem inneren Auge aufgetaucht war, war ich erschrocken zusammengezuckt. Wo war es abgeblieben? Seit meiner Zeitreise hatte ich es nicht mehr gesehen. Fieberhaft hatte ich mein Zimmer durchwühlt, aber das Schriftstück blieb verschwunden. Damit war meine einzige Verbindung in die Vergangenheit gekappt. Einschließlich der Chance, den verfluchten Halsschmuck je wieder loszuwerden.
Eine dumpfe Verzweiflung senkte sich auf mich herab wie dicker, feuchtschwerer Nebel, der in meine Lungen kroch und mir die Luft zum Atmen nahm. Am liebsten hätte ich mich wie damals, als ich ein kleines Kind war, auf den Boden
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