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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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Pfefferspray, das ich mir in Berlin besorgt hatte, falls ich beim Joggen von einem der zahlreichen Kampfköter angegriffen würde, die in der Stadt gerne mal ohne Leine unterwegs waren. Was gegen Pitbulls hilft, kann auch bei einem Hexenjäger nicht schaden, dachte ich und steckte die kleine Spraydose in meine hintere Hosentasche. Kurz dachte ich, dass der Zauber in meinem Zimmer vielleicht gar nicht funktionieren würde und ich am Ende noch einmal in diesen grässlichen Drudenkeller gehen musste. Doch es war einen Versuch wert. Meine Stimme zitterte, als ich die Worte auf dem ledernen Schriftstück laut las:
    Erbarm dich mein o herre got
    nach deyner grosn barmhertzigkeyt.
    sich herr ynn sund byn ich geborn
    ynn sund enpfyng mich mein mutter.
    Kaum war die letzte Silbe verklungen, begann sich alles um mich zu drehen, und der purpurne Strudel zog mich erneut in seine Tiefen, wo nichts als zeitlos-schwarze Dunkelheit herrschte.
     
    Das Erste, was mir in die Nase stach, war der Gestank nach Kloake. Ohne die Augen zu öffnen, wusste ich, dass ich es geschafft hatte: Ich war wieder im »alten« Bamberg. Allein die fehlende Kanalisation ist ein Grund, die »Hexe« möglichst rasch zu finden und dann nie wieder ins 17. Jahrhundert zurückzukommen, dachte ich und musste gegen einen aufsteigenden Brechreiz ankämpfen. Wie die Leute diesen Gestank nur ausgehalten haben, dachte ich angewidert. Aber kein Wunder, wenn jeder seinen Müll einfach auf die Straße gekippt hat. Mühsam schlug ich die Augen auf und rappelte mich hoch. Ein Blick auf die alten Häuserfassaden überzeugte mich endgültig davon, dass die Magie des Schriftstücks funktioniert hatte. Diesmal war der Schock über das veränderte Stadtbild und die merkwürdig gekleideten Menschen nur halb so groß, auch wenn meine Klamotten inzwischen so löchrig aussahen, als hätte ich sie durch einen Altkleiderschredder gezogen. Diesmal stülpte ich mir die Kapuze meines Shirts sofort über meine roten Haare und vermied es krampfhaft, auch nur in die Nähe des Marktplatzes zu kommen. Schließlich wollte ich nicht Gefahr laufen, noch mal bei einer Hexenverbrennung zusehen zu müssen.
    Nur: Wo sollte ich mit meiner Suche beginnen? Ich konnte schließlich schlecht einen der Passanten an seinem spitzenbesetzten Ärmel zupfen und fragen: »Entschuldigung, wissen Sie zufällig, ob hier irgendwo eine Frau wohnt, die gewohnheitsmäßig Halsbänder verflucht?«
    Überhaupt musste ich aufpassen, nicht wieder aufzufallen. Der kleine Dreckspatz, der mich bei meinem ersten Besuch laut kreischend als »Hexe« bezeichnet hatte, reichte mir vollauf. Vor allem, weil ich keine Ahnung hatte, wie die Leute aus dieser Zeit so drauf waren. Vielleicht reichte ein blöder Spruch, und das Nächste, was ich sehen würde, wäre der Drudenkeller von innen. Diesmal aber sicher nicht, um dort mit Sekt und Balsamico-Chips eine Party zu feiern.
    Beim Gedanken an Chips merkte ich, dass mein Magen trotz des Gestanks, der mich umgab, knurrte. Ich ärgerte mich, dass ich vor lauter Aufregung vergessen hatte, mir was zwischen die Kiemen zu schieben. Jetzt konnte ich zusehen, wie ich ohne die vertrauten Cafés und den leckeren Pizza-to-go-Laden an etwas Essbares kam.
    Planlos irrte ich durch die engen Gassen. Dabei schien ich mich immer mehr vom Zentrum zu entfernen, denn die großen, prächtigen Gebäude wurden immer seltener, und an ihre Stelle traten Häuser, die eher klein und einfach gebaut waren und in größeren Abständen zueinander standen. Dazwischen befanden sich brachliegende Wiesen oder kleine Felder, deren umgepflügte, dunkle Erde nass glänzte und nach Frühling roch. Ein angenehmer Unterschied zu dem Mief in der Stadt. In einiger Entfernung konnte ich ein paar Jungen und Männer erkennen, die langsam die Felder abschritten und mit weitausholenden, fast anmutigen Bewegungen irgendetwas zu werfen schienen. Bei ihrem Anblick fiel mir ein Kinderreim ein, den wir in der ersten Klasse hatten auswendig lernen müssen:
    Bauer Hans steht auf dem Feld,
    hat sein Feld schon bald bestellt.
    Heute will er säen, säen,
    weitergehen,
    Körner in die Felder säen …
    Ich begriff, dass die Männer hier genau das taten – sie bestellten die Felder. Dass ich nicht gleich darauf gekommen war, lag daran, dass mein Verstand immer noch im Jahr 2012 zu Hause war, in dem es Traktoren und allerlei technische Geräte für die Landwirtschaft gab.
    Ich verlangsamte meine Schritte. Hier würde ich wahrscheinlich noch

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