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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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weniger Essbares finden als in der Stadt. Ich wollte schon umkehren, als ich im milchigen Licht des Spätnachmittags Wäsche auf einer langen Leine flattern sah. Ein halbes Dutzend weitgeschnittene Hosen und daneben mehrere Hemden, die eine einfache Schnürung am Kragen hatten. Eine Idee reifte in mir wie der Apfel im Spätsommer am Baum. Hastig stieg ich über den niedrigen Zaun und pflückte blitzschnell eine Hose samt Hemd von der Wäscheleine. Als ich außerdem noch eine Kappe, wie sie die Jungen zur Arbeit trugen, über einem Pfosten hängen sah, interpretierte ich das als Wink des Schicksals und griff erneut zu. Dann gab ich Fersengeld. Bestimmt war ich dabei genauso schnell wie Mia gestern, als sie in Panik aus der Mädchentoilette geflüchtet war.
    Nachdem ich mindestens eine Minute gerannt war und eine Gruppe niedriger Büsche erreicht hatte, blieb ich atemlos stehen. Gut verborgen hinter dem Dickicht der zahlreichen, dünnen Zweige, die bereits zartgrüne Blätter trieben, tauschte ich schweren Herzens mein Cargohosen-und Kapuzenshirt-Outfit gegen den nicht besonders angesagten Jungs-Look von Annodunnemal ein. Zum Schluss stülpte ich mir die Kappe über den Kopf. Während ich versuchte, meine roten Haare möglichst unsichtbar werden zu lassen, verdrängte ich die Frage, ob Kopfläuse zu dieser Zeit wohl sehr verbreitet gewesen waren. Zumindest würde ich in der Männerkleidung weniger auffallen und mich freier bewegen können. Im Geiste bat ich die Besitzer um Verzeihung für die »Leihgabe«. Vielleicht würde das Fehlen einer Garnitur unter den vielen Kleidungsstücken auf der Wäscheleine gar nicht auffallen. Im letzten Moment fiel mir noch mein Pfefferspray ein. Doch als ich die Dose aus meiner Cargohose fischen wollte, hielt ich einen geschmolzenen Klumpen Alumetall in der Hand. Das, was mal eine Spraydose gewesen war, sah jetzt rostig und verbeult aus, als wäre es jahrelang irgendwo verrottet. Soviel also zu der Möglichkeit, Waffen aus der Zukunft mitzunehmen, dachte ich frustriert. Dass das nicht funktionieren konnte, hätte ich mir eigentlich schon denken können, als ich das erste Mal den Zustand meiner Chucks gesehen hatte. Ich konnte noch von Glück sagen, dass ich nicht auf die Idee gekommen war, mein Handy einzustecken, um lustige Fotos vom barocken Bamberg zu schießen. Weiß der Himmel, wie es jetzt aussehen würde. Resigniert stopfte ich das Pfefferspray – beziehungsweise das, was davon übrig war – in meine Hose und deponierte sie samt Kapuzenshirt in den Büschen. Im Geiste verabschiedete ich mich von den 120 Euro, die die Kleider gekostet hatten. Im Prinzip brauchte ich mir gar nicht die Mühe zu machen, sie später wieder hier abzuholen. Noch eine Zeitreise würden die Sachen garantiert nicht überstehen.
    Blieb nur noch das Essensproblem. Während ich in meinem neuen Outfit den Weg zurück in die Stadt einschlug, überlegte ich, mit welcher Währung man in der jetzigen Zeit wohl bezahlt hatte und wie ich an selbige kam. In diesem Moment bemerkte ich eine Veränderung des Lichts: Die Dämmerung war gekommen und hatte ein blaugraues Tuch über die Landschaft geworfen. Nicht mehr lange, und es würde dunkel werden.
    Offenbar hatte ich zu lange in den Himmel gesehen und nicht genügend aufgepasst, jedenfalls stolperte ich und lag, noch ehe ich reagieren konnte, am Boden. Ein spitzer Schmerz durchfuhr mein rechtes Bein und mir wurde übel. Als die grünen Punkte, die wie kleine springende Fische vor meinen Augen herumtanzten, endlich verschwanden, blickte ich an mir herunter. Beinahe wäre mir wieder schlecht geworden: Ein dünnes hellrotes Rinnsal lief an meinem Schienbein herunter und färbte meinen ausgeblichenen Chuck rostrot. Mein Bein brannte schmerzhaft, und mir wurde klar, dass meine kurze Unachtsamkeit nicht nur schmerzhafte, sondern auch gefährliche Folgen haben konnte. Denn weder würde ich hier eine Apotheke finden, noch wusste ich, wie man früher – oder besser gesagt: in dieser Zeit, in der ich mich befand – Verletzungen wie diese behandelt hatte.
    Vor meinem inneren Auge sah ich, wie sich mein Bein entzünden und eitern würde, und jetzt kippte mir vor Panik tatsächlich der Kreislauf weg. Mit einem Plumps setzte ich mich wieder auf den staubigen Boden. Die Sonne war inzwischen bis auf einen schmalen roten Streifen, der sich wie ein spöttisch lächelnder Mund über den ganzen Himmel zog, verschwunden. Eine samtigschwarze Nacht drängte heran, und vereinzelt

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