Heike Eva Schmidt
denn?«, fragte ich erschrocken. »Hab ich was falsch gemacht?«
Stumm verneinte sie. Dann brach ein Schluchzen aus ihr hervor, so heftig wie ein Sommergewitter. Ohne zu überlegen, nahm ich sie fest in den Arm. »Schhhh! Ist ja gut, alles kommt wieder in Ordnung«, summte ich ihr beruhigend ins Ohr und wiegte sie wie ein Kind, während ein hoffnungsloses, verzweifeltes Weinen sie schüttelte. Ihr Schmerz schnitt mir ins Herz, wie die Klinge eines Skalpells.
Erst nach ein paar Minuten hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie mir erzählen konnte, was sie in diese tiefe Hoffnungslosigkeit gestürzt hatte. Und so erfuhr ich von Dorotheas Liebe zu Daniel und ihrer Angst vor seinem Vater, Richter Förg. Der Alte hatte ihr schon ein paar Mal nachgestellt und jeden, der ihr zu nahe kam, skrupellos bestraft – sogar seinen eigenen Sohn. Als sie mir dann noch von der Wunde des kleinen Jungen erzählte, der nichts getan hatte, außer dem Richter einen von Dorothea verschmähten Schildpattkamm zurückzubringen, bedauerte ich im Nachhinein, vorhin nicht doch nach der gusseisernen Pfanne gegriffen zu haben. Ich hätte sie dem alten Widerling mit Freuden über seinen dürren Schädel mit den fahlen Haarsträhnen gezogen, wenn er in seiner Besessenheit Wehrlose schlug oder mit einer Peitsche verdrosch.
»Er will mich unbedingt zum Weibe«, flüsterte Dorothea angstvoll. »Und ich weiß nicht, wie lange ich noch Widerstand leisten kann.«
»Na hör mal, wen du heiratest, entscheidest ja wohl du«, rief ich aufgebracht. »Ich meine, wo kommen wir denn da hin, wenn die Emanzipation …« Ich stockte. Schon wieder hatte ich vergessen, in welcher Zeit ich mich gerade befand.
Dorothea sah mich mit milder Neugier an. Ich wedelte mit der Hand in der Luft herum, eine nichtssagende Geste wie die von Karl Lagerfeld, wenn man ihn auf seine Diät ansprach.
»Egal. Was ich damit sagen will: Wenn du diesen schrecklichen Menschen nicht heiraten möchtest, dann schnapp dir Daniel. Dann verlasst ihr beide eben Bamberg und geht woandershin! Ich meine, du bist eine selbständige Frau, die ihr eigenes Geld verdient, und Heilerinnen werden doch überall gebraucht«, sagte ich und hoffte, ihr damit Mut zu machen.
Doch sie blickte traurig zu Boden.
»Ich weiß nicht, wo du herkommst, Cat, aber für Frauen meines Standes ist das nicht so leicht«, sagte sie und fuhr hastig fort, um meinen aufkeimenden Protest vorwegzunehmen: »Es ist ja schon gegen die Natur, mit beinahe 17 Jahren noch unverheiratet zu sein. Alle meine Nachbarinnen waren bereits mit 13 oder 14 Jahren im Stand der Ehe.«
Mir blieb die Spucke weg. Natürlich war im Unterricht mal beiläufig der Satz gefallen, dass rund um das Mittelalter früh geheiratet wurde. Aber es war eine andere Sache, es live von Dorothea zu hören, die ich begonnen hatte zu mögen und der ich helfen wollte.
Sie sah mich mit ihren Anemonenaugen ernst an. »Ich weiß, ich dürfte Daniel nicht lieben, Cat. Ich bin nur ein einfaches Mädchen von niederer Herkunft. Aber ich kann nicht anders. Wenn ich ihn sehe und er mich anlächelt, dann ist es, als würde etwas in mir zum Klingen gebracht. Ein Ton, so hell und rein, als schlüge man mit einem zinnenen Löffel gegen feinstes Bleikristall …« Sie verstummte und wurde rot. Ich musste sie angestarrt haben wie ein Schaf, denn sie fügte verlegen hinzu: »Verzeih mir, ich kann mit Worten nicht gut umgehen. Sicher hältst du mich für töricht …«
»Nein, nein, überhaupt nicht! Ehrlich«, beeilte ich mich, ihr zu versichern.
»Ich war nur … wow, also, ich finde, du hast deine Gefühle wunderschön ausgedrückt«, stammelte ich.
Allerdings hatten ihre Worte auch etwas anderes in mir ausgelöst: Es war, als hätte sie mit feinsten Nadelstichen in mein Herz gepiekt, denn das Gefühl, das sie beschrieb, wenn sie Daniel sah, hatte ich bisher noch nie empfunden. Klar hatte es schon Jungs gegeben, bei denen ich Herzklopfen und weiche Knie bekommen hatte. Mick zum Beispiel. Wochenlang hatte ich ihn damals auf dem Schulhof angeschmachtet. Heimlich natürlich. Und ich konnte mein Glück kaum fassen, als er mich beim Klassenabend tatsächlich in eine dunkle Ecke zog und küsste. Leider trugen wir beide mit 14 Zahnspangen und hätten beinahe einen Metallschneider gebraucht, um unsere verhakten Klammern wieder voneinander zu lösen. Die anderen hatten noch Tage danach etwas zu lachen gehabt, aber wir gingen uns ab da geflissentlich aus dem Weg.
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