Heike Eva Schmidt
den Hals gelegt. Dorothea fühlte, wie Grete sie am Arm packte und zu den losen Dielenbrettern bugsierte. Gemeinsam stemmten sie zwei der Holzplanken nach oben, und Dorothea kletterte rasch in den schmalen Hohlraum hinunter. Dort kauerte sie sich zusammen, während Grete die Bohlen wieder an ihren Platz schob. Keine Sekunde zu früh, denn schon ertönte das fordernde Klopfen des Richters.
Dorothea konnte Gretes ruhige Schritte über sich hören. Dann ein Knarren, als die Tür geöffnet wurde.
»Ah, Ihr seid zu Hause, wie ich gehofft hatte.«
Beim Klang der schwertklingenkalten Stimme Förgs erschauerte Dorothea, obwohl sie in der graugelben Dämmerung des Kellers gut verborgen war.
»Womit kann ich Euch dienen, hoher Herr?«, fragte Grete, und Dorothea bewunderte die Sicherheit in der Stimme der alten Frau.
»Man munkelt viel über ihre Künste, Haanin. Auch, dass sie allerlei Tränke mische, die mannigfaltige Wirkungen hätten«, schnarrte Förg.
Dorothea hielt den Atem an: Wollte der Richter Daniel einen giftigen Trank verabreichen? Plante er am Ende, seinen Sohn zu töten?
Auch die alte Grete schien nicht zu verstehen, was Förg von ihr wollte. Vorsichtig sagte sie: »Hoher Herr, ich bin nur eine einfache Frau, die in Kräuterkunde bewandert ist …«
»Unsinn«, unterbrach Förg sie scharf.
»Ich weiß genau, was Ihr tut, Haanin. Aber mir soll’s gleich sein, welche Werke Ihr vollbringt … solange diese auch mir von Nutzen sind.«
Dorothea konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie war sich sicher, dass sich sein dünnlippiger Mund zu einem wölfischen Grinsen verzerrte.
»Ich verlange nicht viel und ich will’s Euch reich vergelten«, fuhr der Richter fort. Seine Worte tropften wie zäher, bitterer Tollkirschsaft in die angespannte Stille.
»Sagt mir, was Ihr von mir wollt«, verlangte Grete.
»Bereitet einen Liebeszauber für die junge Dorothea Flock zu«, antwortete Förg. »Sie soll mir zu Willen sein, damit sie mein Weib werde.«
Heiß und sengend schossen seine Worte in Dorotheas Bewusstsein. Sie presste die Hand vor den Mund, um vor Entsetzen nicht laut aufzuschreien. Auf diese Weise sollte sie also gefügig gemacht werden! Weil sie seinem Werben nicht freiwillig nachgab, wollte Förg sie mit Magie dazu zwingen? Hilflos kauerte Dorothea in ihrem Versteck. Wie das Gift nach dem Stich einer wilden Biene breitete sich nun langsam eine schreckliche Befürchtung in ihr aus: Was, wenn Grete ihm gehorchte? Würde sie die Milch, die Dorothea sich von ihr erbeten hatte, mit einem Zauber belegen? Oder würden ihre Schwarzen Künste sie im Schlaf ereilen?
»Ihr überschätzt meine Künste, edler Richter. Ich bin derartiger Dinge nicht mächtig«, sagte Grete in diesem Moment mit fester Stimme.
»Aber …«, wollte der Richter einwerfen, doch sie fuhr fort, ohne auf seinen Protest zu achten: » … und selbst wenn ich’s wäre: Ein Liebeszauber wirkt nur, wenn der Mensch, den er treffen soll, dafür empfänglich ist. Ist das Herz verschlossen, helfen keine Zauberei und kein Gebet. Liebe kann man nicht erzwingen, Herr. Sie ist ein Geschenk, das freiwillig gegeben werden muss. Man erhält es oder eben nicht.«
Gretes Worte schienen noch einen Augenblick in der Luft zu hängen. Dorothea stieß lautlos den Atem aus, den sie vor lauter Anspannung angehalten hatte. Ihre Erleichterung war grenzenlos. Grete würde sie nicht ausliefern, sie war auf ihrer Seite.
»Hüte sie sich, Haanin. Niemand stellt sich gegen mich, hört Ihr? Niemand!« Die Stimme des Richters war schrill vor Wut.
»Niemals käme es mir in den Sinn, dies zu wagen, hoher Herr. Jedoch, ich verdinge mich als Heilerin, nicht als Kupplerin«, antwortete Grete.
Durch eine Ritze in den Bodendielen konnte Dorothea die Schnallenschuhe des Richters sehen, die mit zornigen Schritten die kleine Stube durchmaßen. Plötzlich hörte sie Gretes Katze fauchen, unmittelbar darauf gab die alte Frau einen erschrockenen Laut von sich.
Wieder ertönte Förgs Stimme, diesmal gefährlich leise und sanft: »Sie tut besser, was ich ihr antrage, Weib! Sonst wird ihre räudige Katze im Feuer brennen …«
Es folgte ein kläglicher Laut, den Dorothea zunächst nicht zuordnen konnte. Erst als das Wimmern anhielt, merkte sie, dass es offenbar von der Katze kam. Der Jammerton schnitt ihr tief ins Herz, und sie presste beide Hände auf die Ohren, um nichts mehr hören zu müssen. Hass bohrte sich in ihre Seele wie die Spitze eines glühenden Eisens. Wie könnte
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