Heike Eva Schmidt
Gretes leeren Krug in ihren schockklammen Fingern hielt, bemerkte sie nicht.
Als sie zu Hause angekommen war, stand eine schlanke Gestalt vor ihrer Tür: Daniel. Doch diesmal war keine Freude in seinen Augen. Die Grübchen, die sich beim Lachen immer auf seinen Wangen abzeichneten, waren verschwunden. Stattdessen waren seine Züge angespannt, die Wangen bleich. Dorothea sah ihn, und ohne dass er ein Wort sagen musste, war ihr klar, dass die Zeit des Abschieds gekommen war.
Sie weinte lange in seinen Armen, ehe sie ihre wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel schnürte. Als die Sonne ihren Zenit erreichte, erklang von draußen ein harter Hufschlag. Daniel hatte sein Pferd gesattelt und kam sie holen. Als er vor ihr stand, um ihr hinaufzuhelfen, tauchten seine Aquamarinaugen in das Anemonenblau der ihren.
»Dorothea …«, fing er an, doch sie legte ihm sanft die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf.
»Sag nichts, Liebster«, wisperte sie. »Ich weiß, es gibt keinen anderen Weg, aber sprich es nicht aus. Es reißt mir sonst das Herz auseinander.«
Daniel presste die Lippen so hart zusammen, dass seine Kieferknochen hervortraten, und nickte. Sanft hob er sie auf sein Pferd, schwang sich dann ebenfalls in den Sattel und schnalzte mit der Zunge. Als sich das Tier in Bewegung setzte und Dorothea im Rhythmus des Hufschlags eng an Daniel gepresst wurde, traten ihr Tränen in die Augen. Denn dies war wohl das letzte Mal, dass sie sich so nahe sein würden.
Kapitel 8
D as Unheil kommt näher.« Mit diesen Worten gab Margret Hahn, die alte Bambergerin im Zinkenwörth, ihre Bemühungen auf, mich doch noch von dem verfluchten Kupferhalsreif zu befreien. Kein Gebet und keine Beschwörung hatten es vermocht, den Halsschmuck zu lockern, geschweige denn ganz von meinem Hals zu lösen.
Dabei war ich sofort, nachdem ich aus dem 17. Jahrhundert zurückgekehrt war und wieder einigermaßen schwindelfrei auf den Beinen stehen konnte, zu ihrem alten Hexenhäuschen geradelt, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Doch das Einzige, was mich verfolgt hatte, war das aufgebrachte Geschrei einer fränkischen Rentnerin gewesen, weil ich bei einer gewagt genommenen Kurve fast ihren übergewichtigen Dackel rasiert hätte. Ich konnte über die keifende Frau nur den Kopf schütteln. Während ich kurz davor stand, von meinem eigenen Halsschmuck erwürgt zu werden, regte sie sich wegen der zehn Zentimeter auf, die ich zu nahe an ihrer bellenden Speckschwarte auf vier Beinen vorbeigefahren war? Probleme hatten die Leute!
Dass ich tatsächlich ziemlich in Schwierigkeiten steckte, war mir spätestens bei Margret Hahn bewusst geworden, denn die Alte hatte meine Befürchtung bestätigt: Der Reif war tatsächlich enger geworden. Die gute Nachricht ist also, dass ich kein Schilddrüsenproblem habe und auch keinen beginnenden Kropf, dachte ich mit bitterem Galgenhumor. Doch die schlechte Nachricht war folglich: Wenn das so weiterging und der Halsreif sich immer mehr zuzog, würde ich irgendwann nicht mehr atmen können.
»Der Mond schwindet, Caitlin. Das könnte Bestandteil des Fluchs sein: Je dünner seine Sichel wird, desto enger wird vielleicht auch deine Halskette.« Sie schwieg einen Moment und sagte dann zögernd: »Du hast nicht mehr viel Zeit. Bald ist Neumond …«
Ich schluckte, was mir wegen des Kupferreifs neuerdings deutlich schwerer fiel als sonst. »Sie meinen also, wenn der Mond verschwunden ist, werde auch ich … also … nicht mehr da sein?«, fragte ich, wobei die Halskette noch enger zu werden schien.
Margret Hahn knetete sich nervös die Hände, während ihr Blick durch die Stube irrte, wo getrocknete Kräuter von den wurmstichigen Dachbalken herabhingen. Sie seufzte tief. »Leider versagt meine Kunst in deinem Fall. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe: Du musst erneut in die alte Zeit zurückgehen, um die Person, die dich mit dem Fluch belegt hat, möglichst rasch zu finden.«
Mürrisch erwiderte ich: »Als hätte ich das nicht versucht! Aber erst hab ich mir das Schienbein blutig geschlagen, so dass ich aussah wie der Hauptdarsteller von irgend so ’nem Splatter-Movie, und später bin ich wieder in diesen komischen Zeitstrudel gezogen worden. Ich kann das nicht beeinflussen, verstehen Sie? Das ist wie … auf dem Bahnsteig stehen ohne Fahrplan. Man weiß nicht, ob ein Zug kommt und wann.«
Die alte Frau nickte. Sie überlegte einen Moment, ehe sich ihr Gesicht aufhellte. »Hast du mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher