Heike Eva Schmidt
voll in seinem Element.
»Vor allem die letzte stattfindende Verbrennung 1630 auf dem Bamberger Marktplatz sorgte für Aufsehen. In der Zuschauermenge brach offenbar Panik aus, als eine der Angeklagten dem Richter einen Fluch entgegenschleuderte. Fast hätte der aufgebrachte Mob …«
»Einen Fluch? Wer war das, wer hat ihn ausgesprochen, ich muss das wissen!«, haspelte ich und fiel Körner damit nicht gerade höflich ins Wort. Aber er schien es mir nicht übelzunehmen.
»Hmm, ein Name steht hier nicht«, sagte er, und mir rutschte das Herz in die Hose.
»Es heißt nur, es sei eine Frau aus Bamberg gewesen, die denunziert wurde, was damals ›Besagung‹ hieß. Eine bereits verurteilte ›Hexe‹ soll diese Bambergerin angeblich als Mitverschwörerin benannt haben … Aber vermutlich hat sie unter den brutalen Schmerzen der Folter einfach irgendeinen Namen gesagt, das arme Ding. Sie war ja auch noch so jung, diese Dorothea Flock, und …«, Professor Körner unterbrach sich und musterte mich befremdet: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Beim Namen »Dorothea Flock« hatte es mich buchstäblich vom Stuhl gerissen, so dass das Möbelstück beinahe umgekippt wäre. »Die junge Flockin« – so hatte Förg Dorothea bei seinem Besuch genannt! Das schöne Mädchen, das ich getroffen hatte, war Dorothea Flock, sie hatte mich verarztet! Und ausgerechnet sie sollte als letzte Hexe Bambergs verbrannt werden? Das durfte nicht sein, das musste ich unter allen Umständen verhindern! Nur, wie sollte ich das anstellen? Und vor allem: Konnte ich die Geschichte überhaupt verändern?
»Caitlin, Sie gefallen mir gar nicht, Sie sind ja ganz blass!«, rief der Professor und drückte mich sanft auf meinen Stuhl zurück. Hilflos wie eine flügellahme Eule versuchte er, mir mit den Papieren, die er in der Hand hielt, Luft zuzufächeln. Doch das Einzige, was er dabei erreichte, war, dass er den monatealten Staub auf dem Sperrholztisch aufwirbelte und dabei heftig niesen musste.
»Vielen Dank, Herr Professor … ich … äh, Sie haben mir wirklich sehr geholfen«, krächzte ich erstickt.
Unter den irritierten Blicken Körners raffte ich mit fliegenden Händen meine Sachen zusammen und stolperte, irgendetwas wie »EntschuldigungundaufWiedersehen« murmelnd, zur Tür hinaus.
Draußen atmete ich ein paar Mal tief durch. Meine Finger flatterten wie nervöse Fledermäuse auf Insektenjagd, so dass ich kaum mein Fahrradschloss aufbekam. Es war nicht nur die Aufregung bezüglich der neuentdeckten Spur, die das Adrenalin durch meinen Körper pumpte. Es war auch die Angst um Dorothea. Ich war fest entschlossen, das alte Lederstück mit dem magischen Gedicht hervorzuholen, sobald ich wieder zu Hause war. Ich musste Dorothea unbedingt aufsuchen und sie vor ihrem Schicksal bewahren – nicht nur um ihretwillen, weil ich sie mochte und wusste, dass sie unschuldig war, sondern auch um meinetwillen, um mein eigenes Leben zu retten.
Kapitel 9
A ls ich mich in den stinkenden Gassen wiederfand – inzwischen waren mir weder der Geruch noch das Erscheinungsbild des früheren Bambergs fremd –, durchströmte mich trotz des Schwindels ein Gefühl der Erleichterung. Die Männerkleidung, die ich bei meinem letzten Besuch von der Leine geklaut hatte, hatte die Zeitreise gut überstanden. Das helle Tuch allerdings, das ich mir von zu Hause mitgenommen und in Ermangelung eines Spitzenkragens, der im 17. Jahrhundert sehr angesagt war, um den Hals geknotet hatte, hing etwas zerrupft an meinem Hals. Immerhin verdeckte es aber den auffallenden Kupferreif. Und auch den schäbigen Zustand meiner Chucks trug ich inzwischen mit Fassung. Ich hoffte einfach, sie würden nicht völlig aus dem Leim gehen, ehe ich wieder im Jahr 2012 landete. Den Gedanken, dass ich diesmal vielleicht gar nicht mehr zurückkäme, verdrängte ich mit aller Macht. Die Nase fest in den Ärmel meines Hemdes gepresst, das betörend nach Lavendel duftete, weil ich es zu Hause mit literweise Waschmittel gereinigt hatte, machte ich mich auf den Weg zu Dorotheas Häuschen. Ich hatte einige Mühe, die Strecke zu rekonstruieren, die ich damals gegangen war, ehe ich mich verletzt hatte. Schließlich fand ich die Wegkreuzung, an der mich Dorothea mit blutendem Schienbein aufgelesen hatte. Im Eilschritt legte ich die restliche Strecke zurück, bis ich vor der Tür ihrer bescheidenen Behausung stand. Still und friedlich lag das Haus im Sonnenlicht, als hielte es Mittagsschlaf. Noch etwas außer Atem
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