Heike Eva Schmidt
Wut die Zähne zusammen. Da hatte die saubere Gerichtsbarkeit wohl erkannt, wie sie sich schnell und problemlos bereichern konnte: indem man wohlhabenden Bürgern kurzerhand den Prozess machte. Oft landeten sie sogar mitsamt ihrer Familien im Verlies des Drudenhauses und dann auf dem Scheiterhaufen. Und wie durch Zauberei waren die Mächtigen der Stadt auf einmal im Besitz ihrer prunkvollen Häuser und Grundstücke …
Man konnte die Taten also auf zwei Motive herunterbrechen: Willkür und Gier. Automatisch fiel mir dabei der Fiesling Förg ein. Ich hätte wetten können, dass auch er sich an seinen unschuldigen Opfern bereicherte, sobald er sie aus dem Weg geräumt hatte. Dieser Gedanke ließ meine Müdigkeit, die sich in der stickigen Luft des kleinen, kargen Zimmers auf mich gesenkt hatte, verschwinden. Irgendwo in diesem Labyrinth der historischen Zahlen und Fakten tauchte vielleicht auch sein Name auf …
In diesem Augenblick klopfte es, und Körners freundliches Gesicht erschien im Türspalt. Ich lächelte ihn an, bis ich sah, dass der schmächtige Professor noch einen Stapel Hängeordner auf den Armen trug, unter dem er schier zusammenzubrechen drohte. Hastig sprang ich auf und nahm ihm einen Teil ab. Seine großen Eulenaugen musterten mich neugierig hinter den dicken Brillengläsern.
»Und? Haben Sie schon interessante Aspekte für Ihre Arbeit gefunden? Ich muss ja sagen, wenn alle Schüler so interessiert und engagiert wären wie Sie, dann hätten wir in der Pisa-Studie …«
»Ähm, vielen Dank, Herr Professor«, unterbrach ich hastig, ehe er zu einem bildungspolitischen Vortrag ansetzen konnte. »Ich hätte da noch eine Frage. Sagt Ihnen der Name ›Förg‹ etwas? Er war während der Zeit der Hexenprozesse oberster Richter von Bamberg.«
Körner runzelte die Stirn und legte den Finger an die Nase, was ihm das Aussehen eines weisen Uhus verlieh.
»Förg, Förg, ja, da klingelt was bei mir«, sagte er und schwieg nachdenklich.
Ich sah ihn an und hoffte, dass es bei ihm nicht nur klingelte, sondern demnächst auch mal der Groschen fiel.
»Doch, jetzt erinnere ich mich. Ich habe den Namen schon mal gelesen – und zwar im Zusammenhang mit der letzten Hexenverbrennung 1630 in Bamberg«, sagte Körner unvermittelt. Er wurde so lebhaft wie ein Jagdhund, dem man den »Such«-Befehl gegeben hatte und der nun eifrig begann zu graben. Tatsächlich wühlte der Professor in den beschrifteten Hängeordnern, mit denen er vorhin zur Tür hereingekommen war.
Mit gerunzelter Stirn blätterte er einige Papiere durch, ehe er mit einem triumphierenden »Aha!« den Kopf hob. Er grinste, und seine Glasbaustein-Brillengläser funkelten, als er mit ein paar losen Blättern vor meiner Nase herumwedelte.
»Hier! Friedrich Förg, oberster Richter zu Bamberg, 1627 bis … hmmm, mal sehen … Aha, oh, oh! Na, das scheint ja ein ganz unangenehmer Bursche gewesen zu sein«, murmelte der Professor, während sein hagerer Zeigefinger wie ein flinkes Tier die Zeilen des Dokuments entlanghuschte.
Ich hätte ihm gerne gesagt, dass der Ausdruck »unangenehmer Bursche« für Förg ungefähr so zutreffend war, als würde man King Kong als »ungezogenes Äffchen« bezeichnen. Aber dafür war jetzt weder die Zeit noch der richtige Anlass.
»Was steht denn da nun über Förg?«, quengelte ich. Ich merkte selbst, wie ungeduldig ich klang, aber hey: Angesichts der Tatsache, dass ich von einem verzauberten Würgehalsband bedroht wurde, war meine Reaktion ja wohl mehr als verständlich.
»Natürlich, entschuldigen Sie, ich verzettle mich gerne«, sagte Körner prompt, und seine verschwommenen Augen hinter den dicken Gläsern nahmen einen schuldbewussten Ausdruck an.
»Förg war die rechte Hand von Johann Georg dem Zweiten. Der war Fürstbischof von Bamberg und wurde der ›Fuchs von Dornheim‹ genannt. Er galt als gefürchteter Hexenbrenner. Auf sein Konto gehen alleine in Bamberg etwa 300 Hinrichtungen von angeblichen Hexen und Zauberern. Und Förg war offenbar sein ergebenster und eifrigster Scherge. Während der Fuchs von Dornheim die Dekrete zu den Verbrennungen unterschrieb, war Förg die Exekutive, also derjenige, der die Folterungen überwachte und als Richtinstanz den Befehl zum Entzünden des Scheiterhaufens gab«, erklärte der Professor.
Ein heftiger Schauer des Entsetzens, als hätte mich Förgs knochige Hand gestreift, überlief mich. Körner schien mein Unbehagen nicht zu bemerken. Er dozierte begeistert weiter und schien
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