Heike Eva Schmidt
vorkamen, nahm sie den Reif wieder ab und legte ihn behutsam auf das Lederstück zurück. Das Metall schimmerte goldbraun, doch dazwischen prangten granatrote Flecken frischen Blutes. Den Blick starr auf den Kupferschmuck gerichtet, hielt sie ihre Hände über den Reif. All ihre Gedanken waren auf Förg konzentriert. Sie dachte an den Hass, der in ihm sprudelte wie eine giftige Quelle, und dass er nur aus Gier Richter sein wollte. Nach dem Geld, das er sich holte, wenn er wohlhabende Bürger auf den Scheiterhaufen gebracht hatte und sich deren Besitz aneignete. Aber auch aus Gier nach Macht, Herr über Leben und Tod spielen zu können. Wer sich ihm widersetzte, wurde vernichtet. So wie sie und Dorothea. Bei dem Gedanken, dass ein so junges Leben bald ein Ende finden sollte, überkam Grete ein großer, mächtiger Zorn, der ihr ungeahnte Kräfte verlieh. Mit leiser, aber klarer Stimme begann sie, eine seltsame kleine Melodie zu singen.
Dorothea konnte nichts tun, außer der alten Frau gebannt zuzusehen. Die Luft um sie herum schien sich zusammenzuziehen, sich zu verdichten, wie das hauchfeine Gespinst von Raupen, mit denen sie sommers die Äste der Bäume umwoben. Dorothea verspürte ein heftiges Ziehen im Magen, und die zarten Härchen an ihren Armen richteten sich auf. Wie durch einen Schleier sah sie Grete, die hochaufgerichtet dasaß, und hörte Worte, die von weit her zu kommen schienen:
Wurze des Waldes
Und Erze des Goldes
Und elliu Abgründe …
Dorothea wurde schwindlig, und die Laute entfernten sich immer weiter, bis sie nurmehr als fernes Echo in ihrem Kopf nachhallten.
Als die alte Frau ihr Werk vollendet und den Bannfluch ausgesprochen hatte, nahm sie den Kupferreif und legte ihn behutsam neben das weiche Stück Leder, das sie in der Tasche ihres Kleides getragen hatte, als die Schergen sie in ihrem Haus aufgestöbert hatten. Ihr Blick blieb an Dorothea hängen, die benommen und zitternd an der Mauer lehnte. Grete seufzte und murmelte leise: »Möge Gott mir vergeben. Es ist das erste Mal, dass ich meine Kräfte nicht zur Heilung, sondern zum Schaden eingesetzt hab’.« Sie blickte an ihrem zerschundenen Körper hinunter und fügte kaum hörbar hinzu: »… und es wird auch das letzte Mal sein.«
Hastig schlug sie das Kreuz über ihrer Brust. Dann griff die alte Frau nach einem verkohlten Holzsplitter, der von einer der Fackeln stammte. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als sie den Span zwischen ihre zerschundenen Finger nahm und begann, eine Reihe schwarzer Buchstaben in das weiche Leder zu ritzen.
Erbarm dich mein o herre got
nach deyner grosn barmhertzigkeyt …
Kapitel 15
Z wei kräftige Stadtwächter hatten mich in einen unbarmherzigen Klammergriff genommen und schleiften mich an dem fassungslosen Daniel vorbei aus dem Haus. Er wollte etwas sagen, doch ich fing seinen Blick auf und schüttelte warnend den Kopf. Er sollte nicht auch noch in den Schlamassel mit hineingezogen werden. Jakob war nirgends zu sehen, bestimmt hatte er sich versteckt, als die Schergen an die Türe geklopft hatten.
Förg ließ es sich nicht nehmen, uns zu begleiten. Während er neben mir herging, erklärte er mir genüsslich, dass ich Dorothea in Kürze wiedersehen würde, und zwar in den feuchtdunklen Verliesen des Malefizhauses. Ich hätte dem widerwärtigen Richter am liebsten ins Gesicht gespuckt, aber ich wollte meine Lage nicht noch schlimmer machen, als sie sowieso schon war.
Wir waren eben aus der Gasse getreten und meine Bewacher rissen mich grob nach links, Richtung Marktplatz, als Hufschläge erklangen. Wie ein Geisterpferd tauchte ein Schimmel aus der Dunkelheit auf. Ein Mann saß auf seinem Rücken und zog hart die Zügel an, als er uns sah. Sein Blick blieb nur kurz an mir haften, dann musterte er Förg. Der war eindeutig als höherer Bürger zu erkennen, in seinem Samtwams, dem Spitzenkragen und der dicken Goldkette, die sogar Puff Daddy neidisch gemacht hätte.
»Kerl! Was reitet er nachts durch die Gassen und macht solchen Lärm?«, fragte Förg mit der leicht verwaschenen Aussprache eines Betrunkenen.
»Aus Wien komm’ ich, und zum höchsten Richter Bambergs möcht’ ich«, antwortete der Reiter.
Förg blähte die Brust und deutete auf sich. »Da seid Ihr richtig. Friedrich Förg ist mein Name, der oberste Richter bin ich. Stimmt es nicht?«, fragte er die beiden Wachen, die mich immer noch umklammert hielten, und die nickten dienstbeflissen.
Der Reiter griff in seinen Umhang und holte
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